Zehntes Buch

Das Buch vom doppelten Zwielicht

Zweiter Canto

Das Evangelium des Todes und die Nichtigkeit des Ideals

Dann erscholl die ruhige unerbittliche Stimme:

Hoffnung vernichtend, Lebens goldne Wahrheiten auslöschend,

Traf ihr Ton mit Unheil die zitternde Luft.

Dünn und schwach schwamm jene liebliche Welt dahin, fast so

Wie ein perlig dahinschwindender Abschiedsglanz

Am blassen Saum der Dämmerung mondloser Abende.

„Gefangene der Natur, vielgesichtiger Geist,

Denkens Geschöpf, im Reich des Ideals genießend

Deine substanzlose Unsterblichkeit,

Die das feine wunderbare Mental des Menschen ersonnen hat,

Dies ist die Welt, aus der deine Sehnsüchte kamen.

Wenn es Ewigkeit aus dem Staub erbauen will,

Malt des Menschen Denken Bilder, umrahmt von Illusion;

Herrlichkeiten kündend, die es nie erblicken wird,

Bemüht es sich behutsam zwischen seinen Träumen.

Sieh, diese flüchtigen Formen, lichtbefranst,

Sind das Luftgewand unverkörperter Götter;

Eine Verzückung von Dingen, die nie geboren werden können,

Singt Hoffnung der Hoffnung einen hellen unsterblichen Chor;

Wolke sättigt Wolke, süß neigt sich Phantom

Zu sehnendem Phantom, wird süß umarmt oder süß verjagt.

Dies ist der Stoff, woraus das Ideal gemacht ist:

Sein Bildner ist Denken, seine Grundlage des Herzens Wunsch,

Doch nichts Wirkliches antwortet deren Ruf.

Das Ideal wohnt weder im Himmel noch auf Erden,

Ein heller Wahn von des Menschen Hoffnungsglut,

Trunken vom Wein der eigenen Fantasie.

Es ist eines leuchtenden Schattens träumerische Spur.

Der Irrtum deines Sehens erschafft den azurblauen Himmel,

Der Irrtum deines Sehens wölbte den Regenbogen;

Dein sterblich Verlangen schuf die Seele für dich.

Dieser Engel in deinem Körper, den du Liebe nennst,

Der sich seine Flügel webt aus den Farben deines Gemüts,

Ihn hat ein Gärstoff deines Körpers geboren

Und sterben muss sie mit dem Körper, der sie barg.

Sie ist eine Leidenschaft deiner sehnsüchtigen Zellen,

Sie ist Fleisch, das nach Fleisch verlangt, um ihrer Lust zu frönen;

Sie ist dein Geist, der da sucht nach einem erwidernden Geist

Und für eine Weile träumt, den Gefährten gefunden zu haben;

Sie ist dein Leben, das menschlichen Halt sich wünscht,

Um ihre Schwäche zu stützen, einsam in der Welt,

Oder ihren Hunger am Leben des anderen stillt.

Ein Raubtier, das auf seinem Streifzug innehält,

Duckt sie sich unter einem prächtig blühenden Busch,

Ein Herz und einen Körper sich zum Fraße zu ergreifen:

Dies Tier träumst du unsterblich und einen Gott.

O Menschengeist, vergeblich quälst du

Einer Stunde Glück, sich durch die lange Öde der Unendlichkeit

Zu dehnen, deren formlose, leidenschaftslose Schlünde zu füllen,

Den unempfindlichen Abgrund überredend,

Vergänglichem Ewigkeit zu verleihen,

Und gaukelst deinen schwachen Herzensregungen

Mit deines Geistes Trugbild Unsterblichkeit vor.

Aus dem Nichts geboren taucht hier alles auf;

Eingekreist von der Leere des Raumes dauert es,

Eine Weile gestützt von einer unwissenden Kraft,

Dann bröckelt es ab in sein ursprüngliches Nichts:

Einzig das stumm Alleinige kann ewig sein.

Im Alleinigen gibt es keinen Raum für Liebe.

Um den brüchigen Lehm der Liebe zu kleiden, wobst du vergeblich

Am Webstuhl, geborgt von Unsterblichen,

Das prachtvolle und unvergängliche Gewand des Ideals.

Niemals jedoch ward das Ideal zu etwas Wirklichem gemacht.

In Form gefangen, lebt jene Glorie nicht;

In einem Körper eingeschlossen, atmet sie nicht mehr.

Ungreifbar, fern, für immer rein,

Herrscherin ihrer eigenen leuchtenden Leere,

Steigt sie nur widerwillig in irdische Luft herab,

Um einen weißen Tempel im Herzen des Menschen zu bewohnen:

In seinem Herzen strahlt sie, von seinem Leben wird sie verschmäht.

Unwandelbar, körperlos, schön, erhaben und stumm,

Sitzt unbewegt sie auf ihrem leuchtenden Thron;

Stumm empfängt sie seine Gaben und sein Gebet.

Sie hat keine Stimme, seinem Ruf zu antworten,

Keine Füße zum Gehen, keine Hände zum Nehmen seiner Gaben:

Ätherische Statue von der nackten Idee,

Jungfräuliche Empfängnis eines körperlosen Gottes,

Spornt ihr Licht den Menschen an, den Denker,

Einen irdischen Abglanz von göttlicheren Dingen zu erschaffen.

Ihr farbiger Widerschein fällt auf die Taten des Menschen;

Seine Institutionen sind ihre Ehrengräber,

Er unterschreibt seine toten Bräuche mit ihrem Namen;

Seine Tugenden tragen das himmlische Gewand des Ideals

Und einen Nimbus der Umrisse von ihrem Gesicht:

Er verbirgt deren Kleinheit mit dem göttlichen Namen.

Doch reicht der helle Schein nicht aus,

Ihre ärmliche und irdische Machart zu verbergen:

Nur die Erde ist da und nicht irgendein himmlischer Quell.

Wenn es Himmel gibt, sind im eigenen Licht sie verhüllt,

Wenn unbekannt irgendwo eine ewige Wahrheit herrscht,

Brennt sie in einer ungeheuren Leere Gottes;

Denn Wahrheit leuchtet weit entfernt von den Falschheiten der Welt;

Wie können Himmel herniederkommen zur unglücklichen Erde

Oder das Ewige wohnen in treibender Zeit?

Wie soll das Ideal auf schmerzvollem Boden der Erde wandeln,

Wo Leben nur ein Mühen und ein Hoffen ist,

Ein Kind der Materie und genährt von der Materie,

Ein Feuer, schwach flammend im Herd der Natur,

Eine Woge, die da brandet an einer Küste in der Zeit,

Einer Reise mühseliger Weg mit Tod als Ziel?

Die Avatare lebten und starben umsonst,

Umsonst war das Denken der Weisen, die Stimme des Propheten;

Umsonst wird der leuchtende Aufwärtsweg erblickt.

Ungewandelt liegt die Erde unter der kreisenden Sonne;

Sie liebt ihren Fall und keine Allmacht

Kann ihre sterblichen Unvollkommenheiten tilgen,

Des Menschen krumme Unwissenheit des Himmels Gerade aufzwingen

Oder eine Welt des Todes mit Göttern besiedeln.

O Reisende im Streitwagen der Sonne,

Hohepriesterin im Schrein deiner heiligen Fantasie,

Die mit einem magischen Ritual im Hause der Erde

Ideal und ewiger Liebe Anbetung zollst,

Was ist denn diese Liebe, die dein Denken so vergöttlicht hat,

Diese heilige Legende, dieser unsterbliche Mythos?

Sie ist ein bewusstes Sehnen deines Fleisches,

Sie ist ein wunderbares Brennen deiner Nerven,

Eine Rose von Traumpracht, verzierend dein Mental,

Eine große rote Verzückung und Marter deines Herzens.

Eine plötzliche Verklärung deiner Tage,

Geht vorüber sie, und die Welt ist wie zuvor.

Eine erregende Schärfe von Süße und Schmerz,

Ein Erschauern in ihrem Sehnen lässt sie göttlich erscheinen,

Eine goldne Brücke über dem Lärm der Jahre,

Ein Band, das dich verknüpft mit Ewigkeit.

Und doch, wie kurz und schwach! wie schnell vertan

Ist dieser Schatz, den die Götter dem Menschen gaben,

Diese glückliche Nähe gleichsam von Seele zu Seele,

Dieser Honig der Gemeinschaft des Körpers,

Diese gesteigerte Freude, diese Ekstase in den Adern,

Diese seltsame Erleuchtung der Sinne!

Hätte Satyavan weitergelebt, wäre Liebe gestorben;

Doch Satyavan ist tot und Liebe wird leben

Ein kleines Weilchen in deiner traurigen Brust, bis

Sein Gesicht und Körper an der Wand der Erinnerung verblasst,

Wo andere Körper, andere Gesichter kommen.

Bricht Liebe unversehens in das Leben ein,

Betritt der Mensch zuerst eine Sonnenwelt;

In seiner Leidenschaft fühlt er sein himmlisches Element:

Doch nur ein feiner sonniger Erdenfleck

Nahm das wunderbare Aussehen des Himmels Ausbruch an;

Im Herzen der Rose, da sitzt die Schlange und der Wurm.

Ein Wort, die Tat eines Augenblicks, vermag den Gott zu erschlagen;

Gefährdet ist seine Unsterblichkeit,

Er kann auf tausend Arten leiden und sterben.

Liebe kann nicht allein von Himmelsnahrung leben,

Überleben kann sie nur durch den Saft der Erde.

Denn deine Leidenschaft war ein sinnliches Verlangen, verfeinert,

Ein Hunger des Körpers und des Herzens;

Dein Verlangen kann ermüden, vergehen oder anderswohin sich wenden.

Oder Liebe mag ein schrecklich und erbärmlich Ende finden

Durch bitteren Verrat, oder Wut mit grausamen Wunden

Trennen, oder dein unbefriedigt Wollen zu anderen

Gehen, wenn entehrt und erschlagen der ersten Liebe Glück:

Eine dumpfe Gleichgültigkeit ersetzt das Feuer

Oder eine traute Gewohnheit ahmt Liebe nach:

Eine äußere und bedrückende Einung bleibt

Oder die Routine eines Lebenskompromisses:

Wo einst die Saat der Einheit ausgestreut ward

In einen Anschein von spirituellem Boden

Durch ein göttliches Abenteuer himmlischer Mächte,

Da streiten Zwei, ständige Gefährten ohne Freude,

Zwei Egos, eingespannt in eine einzige Koppel,

Zwei Mentale, uneins durch ihre widerstreitenden Gedanken,

Zwei Wesen, entfremdet, für immer geschieden.

So wird das Ideal verfälscht in der Welt des Menschen;

Banal oder arg, Ernüchterung kommt,

Des Lebens raue Wirklichkeit starrt die Seele an:

Des Himmels Stunde wird vertagt und flieht in körperlose Zeit.

Tod schützt dich davor und schützt Satyavan:

In Sicherheit ist er, seiner selbst nun ledig;

Er reist auf Schweigen und Glückseligkeit zu.

Ruf ihn nicht zurück zu all dem Verrat der Erde

Und zum armselig kleinen Leben des tierischen Menschen.

Lass schlafen ihn in meinen weiten ruhigen Räumen

In Harmonie mit der mächtigen Stille des Todes,

Wo Liebe liegt im Schlummer an der Brust des Friedens.

Und du, geh allein zurück in deine schwache Welt:

Kasteie mit Wissen dein Herz, nimm ab die Haube und sieh,

In klare lebendige Höhen dein Wesen erhoben,

Des Himmelsvogels Blick von ungeahnten Gipfeln.

Denn wenn du deinen Geist einen Traum hingibst,

Wird bald harte Notwendigkeit wach dich rütteln:

Reinste Wonne begann und muss vergehen.

Auch du wirst erkennen, dein Herz kein schwingender Anker,

Dass deine geborgene Seele in ewigen Meeren verankert ist.

Vergebens sind die Zyklen deines genialen mentalen Geistes.

Entsage, vergessend Freude und Hoffnung und Tränen,

Deiner leidenschaftlichen Natur in dem tiefen Schoß

Von einem glücklichen Nichts und einer weltlosen Stille,

Befreit in meine geheimnisvolle Ruhe.

Geeint mit meinem unergründlichen Nihil, vergiss alles.

Vergiss deines fruchtlosen Geistes Kraftvergeudung,

Vergiss den mühsamen Kreislauf deiner Geburt,

Vergiss die Freude und den Kampf und den Schmerz,

Die vage spirituelle Suche, welche begann

Als Welten sprossen wie Büschel von Feuerblumen

Und große brennende Gedanken durch den Himmel des Mentals zogen

Und Zeit und ihre Äonen durch die Weiten krochen

Und Seelen auftauchten in die Sterblichkeit.“

Doch Savitri erwiderte der dunklen Macht:

„Eine gefährliche Musik findest du nun, O Tod,

Deine Rede schmelzend in harmonischen Schmerz,

Und flötest verführerisch zu müden Hoffnungen

Deine Lügen, durchsetzt mit traurigen Tönen der Wahrheit.

Ich aber verbiete deiner Stimme, meine Seele zu töten.

Meine Liebe ist kein Hunger des Herzens;

Meine Liebe ist keine Begierde des Fleisches;

Sie kam von Gott zu mir, zu Gott kehrt sie zurück.

Sogar in dem, was Leben und Mensch verdorben haben,

Ist noch ein Flüstern von Göttlichkeit zu hören,

Ist ein Hauch aus den ewigen Sphären zu spüren.

Gewährt vom Himmel und wunderbar für den Menschen,

Ein süßer Feuerrhythmus von Leidenschaft singt der Liebe vor.

Da ist eine Hoffnung in ihrem wilden unendlichen Schrei;

Sie tönt mit Rufen aus vergessenen Höhen,

Und sind ihre Klänge für hochgeflügelte Seelen

In deren Lichthimmel verstummt, lebt ihr brennender Atem

Im Jenseits weiter, der selige Kern von Sonnen,

Die ewig rein in ungesehenen Firmamenten flammen,

Eine Stimme von der ewigen Ekstase.

Eines Tages werde ich meine große süße Welt

Die schauerlichen Verkleidungen der Götter ablegen sehen,

Entschleiert vom Schrecken und entkleidet von Sünde.

Versöhnt werden wir uns dem Antlitz unserer Mutter nähern,

Wir werden unsere offenherzigen Seelen in ihren Schoß werfen;

Dann werden wir die Ekstase ergreifen, der wir nachjagen,

Dann werden wir erschauern vor dem lange gesuchten Gott,

Dann werden wir des Himmels unverhoffte Melodien finden.

Nicht nur für reine Gottheiten gibt es Hoffnung;

Die gewalttätigen und verfinsterten Gottwesen

Sprangen wutentbrannt von der einen Brust hernieder, aufzuspüren

Was die weißen Göttern verfehlten: Auch sie sind sicher;

Die Augen einer Mutter sind auf sie gerichtet und ihre Arme

Sind in Liebe ausgestreckt nach ihren rebellischen Söhnen.

Einer, der kam, Liebe und Liebender und Geliebtes,

Immerdar, schuf sich ein wundersames Feld

Und wob die Takte eines wundervollen Tanzes.

In dessen Kreise und in dessen magische Wendungen

Tritt angelockt er hinein, abgewiesen flieht er.

In den wilden abwegigen Eingebungen seines Mentals

Schmeckt er den Honig der Tränen und weist Freude ab

Bereuend, und hat Lachen und hat Zorn,

Und beides ist eine zerrissene Musik der Seele,

Die, in Einklang gebracht, nach ihrem himmlischen Reime sucht.

Immer kommt er zu uns über die Jahre

Mit einem neuen süßen Antlitz, welches das alte ist.

Seine Seligkeit lacht uns zu oder sie ruft verborgen

Wie eine ungesehen betörende Flöte, weithin gehört

Aus mondbeschienenem Gezweig pulsierender Wälder,

Uns lockend zu stürmischem Suchen, inbrünstigem Schmerz.

Verkleidet sucht der Liebende unsere Seele und zieht sie zu sich.

Für mich hat er sich benannt, ward Satyavan.

Denn von Anbeginn waren wir Mann und Frau,

Die Zwillingsseelen, geboren aus demselben unvergänglichen Feuer.

Ging er mir nicht in anderen Sternen auf?

Wie hat er durch die Dickichte der Welt

Mich wie ein Löwe in der Nacht verfolgt

Und plötzlich mich auf Wegen überrascht

Und mich gepackt mit seinem herrlich goldnen Sprung!

Unbefriedigt sehnte er sich nach mir durch die Zeit,

Manchmal voll Ingrimm und manchmal voll sanfter Ruhe,

Begehrend mich seit Anbeginn der Welt.

Er stieg wie eine wilde Woge aus den Fluten

Und zog mich hilflos in Meere von Seligkeit.

Aus meiner verhüllten Vergangenheit tauchen seine Arme auf;

Sie haben mich berührt wie der sanft beredende Wind,

Sie haben mich gepflückt wie eine glückliche und bebende Blume,

Sie umfingen mich froh verbrannt in gnadenloser Flamme.

Auch ich fand ihn verzaubert in lieblichen Formen

Und eilte entzückt seiner fernen Stimme nach

Und drang zu ihm durch viele furchtbare Schranken.

Wenn es einen noch glücklicheren, größeren Gott gibt,

So möge er zuerst das Antlitz von Satyavan tragen

Und lass seine Seele eins sein mit ihm, den ich liebe;

So lass ihn mich suchen, dass ich begehren mag.

Denn in meiner Brust schlägt nur ein einzig Herz

Und nur ein Gott thront dort. Geh weiter, O Tod,

Über die Trugschönheit dieser Welt hinaus;

Denn einer ihrer Bürger bin ich nicht.

Ich schätze Gott, das Feuer, nicht Gott, den Traum .“

Aber noch einmal griff der Tod nach ihrem Herzen

Mit der Majestät seiner ruhigen und schrecklichen Stimme:

„Eine helle Halluzination sind deine Gedanken.

Gefangene, fortgezerrt an einem spirituellen Strick,

Des eigenen sinnlichen Wollens eifrige Dienerin,

Du schickst Worte wie Adler der Sonne zu,

Beflügelt mit der roten Pracht deines Herzens.

Doch Wissen wohnt nicht im leidenschaftlichen Herz;

Des Herzens Worte prallen ungehört ab von der Weisheit Thron.

Vergeblich ist dein Sehnen, den Himmel auf Erden zu erbauen.

Erschaffer von Ideal und Idee,

Mentaler Geist, Kind der Materie im Schoße des Lebens,

Will die Schritte seiner Eltern zu höheren Ebenen lenken:

Unfähig, folgen sie nur schlecht dem kühnen Führer.

Doch der Mentale Geist, ein glorreicher Wandersmann am Himmel,

Geht auf der Erde lahm mit langsamen Schritten einher;

Er kann kaum formen den störrischen Stoff des Lebens,

Kann kaum die galoppierenden Hufen der Sinne halten:

Seine Gedanken schauen geradeaus in das Himmlische;

Aus einer überirdischen Mine schürfen sie ihr Gold,

Seine Taten schmieden unter Schmerzen ein gewöhnliches Erz.

All deine hohen Träume wurden vom Geist der Materie gemacht

Zum Trost für sein stumpfes Wirken im Gefängnis der Materie,

Dem einzigen Haus, wo wahr scheint sie allein.

Eine solide Erscheinung der Wirklichkeit,

Aus dem Sein gemeißelt, um die Werke der Zeit zu stützen,

So sitzt Materie auf der festen Erde sicher und stark.

Sie ist die Erstgeborene erschaffener Dinge,

Sie ist die Letzte, wenn Mental und Leben erschlagen sind,

Und endet sie, hört alles auf zu sein.

Alles andere ist nur Resultat von ihr oder ihre Phase:

Deine Seele ist eine kurzlebige Blüte, vom Gärtner Mental

Auf deinem Gartenbeet der Materie hervorgebracht;

Auch sie verwelkt mit jener Pflanze, auf der sie wächst,

Denn ihre himmlische Farbe zieht sie aus dem Saft der Erde:

Deine Gedanken sind Schimmer, die am Saum der Materie vergehen,

Dein Leben eine vergehende Welle auf dem Meer der Materie.

Eine umsichtige Verwalterin der begrenzten Mittel der Wahrheit,

Hütend ihre fundierten Fakten vor der verschwenderischen Macht,

Knüpft an die Zeltpfosten der Sinne sie den mentalen Geist,

Spannt in grauen bleiernen Trott die Launen des Lebens

Und fesselt alle Geschöpfe mit den Stricken des Gesetzes.

Ein Gefäß von umgestaltenden Alchemien,

Ein Leim, der Leben und Mental zusammenkittet,

Versagt Materie, dann bröckelt alles und fällt.

Alles steht auf der Materie wie auf einem Fels.

Doch diese Sicherheit und Bürgschaft

Erweist sich als Betrug, wenn man nach Referenzen fragt:

Eine Vortäuschung von Substanz wo keine Substanz besteht,

Eine Erscheinung und ein Symbol und ein Nichts,

Ihren Formen hat seit je Geburtsrecht gefehlt:

Ihr Aspekt einer festen Stabilität

Ist die Hülle des Wirbels einer gefangenen Bewegung,

Eine Schrittordnung des Tanzes der Energie,

Deren Fußabdrücke immerfort dieselben Zeichen hinterlassen,

Ein greifbares Antlitz von substanzloser Zeit,

Ein Tröpfeln, das die Leere des Raumes punktiert:

Eine stabil erscheinende Bewegung ohne Wandlung,

Doch Wandel kommt, und der letzte Wandel ist Tod.

Was einst so wirklich schien, ist Schauspiel des Nihil.

Ihre Figuren sind Fallen, die einfangen und einsperren den Sinn;

Das anfangslose Leer war ihr Urheber:

Es gibt nichts als vom Zufall umrissene Aspekte

Und scheinbare Gestalten scheinbarer Energie.

Alles atmet und lebt eine Weile durch des Todes Gunst,

Alles denkt und handelt durch des Nichtbewussten Gnade.

Süchtige nach der rosa Pracht deiner Gedanken,

Wende nicht deinen Blick in dich selbst, um zu schauen

Auf Visionen in dem schimmernden Kristall, Mental,

Schließe nicht deine Lider, um Formen der Götter zu erträumen.

Willige endlich ein, die Augen zu öffnen und sieh

Den Stoff daraus du und die Welt gemacht.

Nichtbewusst in der stummen nichtbewussten Leere

Entstand auf unerklärliche Weise eine sich bewegende Welt:

Eine Weile sicher, glücklich empfindungslos,

Konnte sie nicht mit ihrer eigenen Wahrheit zufrieden bleiben.

Denn auf ihrer nichtbewussten Brust ward etwas geboren

Verdammt zu sehen und zu wissen, zu fühlen und zu lieben,

Es nahm ihre Taten wahr, wähnte eine Seele im Innern;

Es tappte nach Wahrheit und träumte von Selbst und Gott.

Solange alles unbewusst war, war auch alles gut.

Ich, Tod, war König und wahrte meinen königlichen Stand,

Entwarf meinen eigenwillig unfehlbaren Plan,

Erschaffend empfindungslos mit einem ruhigen Herz.

In meiner Hoheitsgewalt der Unwirklichkeit

Das Nichts zwingend, eine Form anzunehmen,

Wob unfehlbar meine blinde gedankenlose Kraft

Durch Zufall eine Festigkeit wie die des Schicksals,

Aus einer Laune heraus die Formeln der Notwendigkeit,

So bauend auf dem hohlen Fundament der Nichtigkeit

Die sichere Bizarrerie der Natur Schema.

Ich wölbte den leeren Äther zum Raum;

Ein riesiger sich ausdehnender und zusammenziehender Atem

Barg die Feuer des Universums in sich:

Den höchsten Urfunken schlug ich heraus

Und streute seine lichten Heeresreihen durch die Nichtigkeit,

Fertigte die Sterne aus der okkulten Strahlung,

Stellte die Truppen auf zum unsichtbaren Tanz;

Ich formte die Schönheit der Erde aus Gas und Atom

Und schuf aus chemischem Plasma den lebenden Mensch.

Dann kam Denken hinzu und verdarb die harmonische Welt:

Materie begann zu hoffen und zu denken und zu fühlen,

Gewebe und Nerven ertrugen Freude und Qual.

Der bewusstlose Kosmos rang, sein Werk zu lernen;

Ein unwissend persönlicher Gott ward im Mental geboren

Und ersann, um zu verstehen, das Gesetz der Vernunft,

Das unpersönlich Weite pulsierte zurück auf des Menschen Begier,

Und Tumult erschütterte der großen Welt blindes stilles Herz

Und Natur verlor ihre weite unsterbliche Ruhe.

So kam es zu diesem verfälschten unbegreiflichen Szenarium

Von Seelen, verstrickt in des Lebens Freude und Schmerz,

In der Materie Schlaf und des Mentals Sterblichkeit,

Von Wesen, den Tod erwartend im Verlies der Natur,

Von Bewusstsein, versackt in suchender Unwissenheit

Und stockend schleppendem Plan der Evolution.

Dies ist die Welt, in der du dich bewegst, verirrt

Auf den verworrenen Pfaden des menschlichen Mentals,

In dem ausgangslosen Kreisen deines menschlichen Lebens,

Auf der Suche nach deiner Seele, wähnst Gott sei hier.

Doch wo ist Raum für Seele oder Platz für Gott

In der brachialen Ungeheuerlichkeit einer Maschine?

Du hältst vergänglichen Hauch für deine Seele,

Geboren aus einem Gas, einem Plasma, einem Sperma, einem Gen,

Ein vergrößertes Bild des Menschen Mentals für Gott,

Ein Schatten deiner Selbst, geworfen auf den Raum.

Gestellt zwischen das obere und untere Leer,

Reflektiert dein Bewusstsein die Welt um dich herum

Im Zerrspiegel der Unwissenheit

Oder wendet sich nach oben, um imaginäre Sterne einzufangen.

Oder wenn eine Halbwahrheit mit der Erde spielt

Und ihr Licht auf einen dunklen schattigen Boden wirft,

Berührt sie nur und hinterlässt einen leuchtenden Fleck.

Unsterblichkeit forderst du für deinen Geist,

Doch für den unvollkommenen Menschen,

Ein Gott, der sich bei jedem Schritt verletzt,

Wäre Unsterblichkeit ein Kreislauf nur von unaufhörlicher Pein.

Weisheit und Liebe forderst du als dein Recht;

Doch Erkenntnis in dieser Welt ist des Irrtums Gefährtin,

Eine brillante Kupplerin des Nichtwisssens,

Und menschliche Liebe ist ein Mime auf der Erdenbühne,

Die mit Begeisterung einen Elfentanz imitiert.

Ein Extrakt, gepresst aus harter Erfahrung,

Abgefüllt in Fässer der Erinnerung, haftet menschlichem Wissen

Herber Geschmack von einem sterblichen Tropfen an:

Ein süßes Sekret aus den erotischen Drüsen,

Schmeichelnd und quälend die brennenden Nerven,

Ist Liebe ein Honig und ein Gift in der Brust,

Getrunken als der Götter Nektar.

Der Erde menschliche Weisheit ist keine hochstirnige Macht

Und Liebe kein strahlender Engel von den Himmeln her;

Streben sie über die Stumpfsinnsluft der Erde hinaus

Mit schwachen wachsartigen Flügeln sonnenwärts,

Wie hoch käme dann dieser erzwungen unnatürliche Flug?

Denn nicht auf Erden kann göttliche Weisheit herrschen

Und nicht auf Erden göttliche Liebe gefunden werden;

Sie leben, himmelgebürtig, im Himmel nur;

Und auch dort sind sie vielleicht nur schimmernde Träume.

Ja, ist nicht alles, was du bist und tust, ein Traum?

Dein Mental und Leben sind Kniffe der Materie Kraft.

Kommt dir dein Mental wie eine strahlende Sonne vor,

Eilt dein Leben als lebhafter und prachtvoller Strom dahin,

So ist dies bloß die Illusion deines sterblichen Herzens,

Geblendet durch einen Schein von Glück oder Licht.

Unfähig aus ihrem eigenen göttlichen Recht zu leben,

Überzeugt von ihrer brillanten Unwirklichkeit,

Sobald ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen wird,

Sterben diese Kinder der Materie in der Materie.

Selbst Materie löst sich auf in das Unbestimmte der Energie

Und Energie ist eine Bewegung der alten Null.

Wie sollen des Ideals substanzlose Farben

Denn haften auf dem Zinnoberfleck der Erde,

Ein Traum in einem Traum sich doppelt erfüllen?

Wie soll das Irrlicht zu einem Sterne werden?

Das Ideal ist eine Krankheit deines Mentals,

Ein helles Delirium deines Sprechens und Denkens,

Ein seltsamer Wein der Schönheit, der dich zu falscher Sicht erhebt.

Als eine edle Fiktion deiner Sehnsucht gemacht,

Muss es an deiner menschlichen Unvollkommenheit Anteil haben:

Seine Formen in der Natur enttäuschen das Herz,

Und nie wird es da finden seine himmlische Gestalt

Und nie kann es erfüllen sich in aller Zeit.

O Seele, irregeleitet vom Glanz deiner Gedanken,

O irdische Kreatur mit deinem Traum vom Himmel,

Gehorch, ergeben und still, dem irdischen Gesetz.

Nimm an das kurze Licht, das auf deine Tage fällt;

Greif, was du kannst, von Lebens vergönntem Glück;

Und beugend der Prüfung von Schicksals Geißel dich

Erleid, was du musst, an Mühsal, Kummer und Sorge.

Dann wird sich dir nahen, beschwichtigend dein feurig Herz,

Meine lange ruhige Nacht immerwährenden Schlafes:

Dorthin, in das Schweigen, aus dem du kamst, kehr zurück.“

Ende des zweiten Cantos

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