Sechstes Buch

Das Buch vom schicksal

Zweiter Canto

Der Schicksalslauf und die Frage des Leidens

Ein Schweigen besiegelte den unwiderruflichen Entscheid,

Das Wort des Schicksals, das von himmlischen Lippen fiel,

Ein Verhängnis besiegelnd, das keine Macht abwenden konnte,

Es sei denn, des Himmels Wille ändere selber seinen Lauf.

So schien es: Doch dem Schweigen entstieg

Eine Stimme, die unabänderliches Geschick bestritt,

Ein Wille, der mit dem unwandelbaren Willen rang.

Einer Mutter Herz hatte die schicksalsschwere Rede vernommen,

Die wie eine Gutheißung zum Ruf des Todes klang

Und wie ein eisiger Schauer Leben und Hoffnung überkam.

Doch Zuversicht sank wie ein erlöschend Feuer.

Sie spürte die bleierne unvermeidliche Hand

In die Verborgenheit ihrer behüteten Seele eindringen

Und mit plötzlichem Schmerz deren stille Zufriedenheit erschlagen

Und das Reich ihrer schwer erkämpften Ruhe befallen.

Für eine Weile sank sie auf die Ebene des menschlichen Mentals,

Ein Feld der sterblichen Pein und der Natur Gesetz;

Sie teilte, sie trug das gewöhnliche Los der Menschen

Und empfand, was gewöhnliche Herzen in der Zeit erdulden müssen.

Der unergründlichen Macht die Frage der Erde stellend,

Wandte sich nun die Königin an den ruhigen reglosen Seher:

Bedrängt von der Unzufriedenheit in den Tiefen der Natur,

Teilhaberin an der Qual der stummen getriebenen Dinge

Und all dem Elend, all dem unwissenden Schrei,

Sprach leidenschaftlich sie wie Leid, das Himmel verhört.

Ihre Stimme der Oberflächenseele auf Erden leihend,

Äußerte sie das Leiden in der Welt stummes Herz

Und des Menschen Auflehnung gegen sein unwissend Los.

„O Seher, in diesem seltsam zweigeartetem Leben der Erde,

Durch welche erbarmungslose widrige Notwendigkeit

Oder welche kalte Laune eines Schöpfers Willen,

Durch welchen beiläufigen Umstand oder gelenkten Zufall,

Der wahllose Schritte zu einer Regel fügte

Und aus Gefühlen einer Stunde Schicksal schuf, kam

In das unverständliche Mysterium der Zeit

Das schlimmere Mysterium von Leid und Schmerz?

Ist es dein Gott, der dies grausame Gesetz erließ?

Oder hat eine unheilvolle Macht sein Werk verdorben

Und er steht hilflos da und kann nicht schützen oder retten?

Eine fatale Saat ward beim Fehlstart des Lebens gesät

Als Böses mit Gutem sich paarte auf irdischem Grund.

Da trat zuerst das Leiden des mentalen Geistes auf,

Seine Pein des Denkens, seine Suche nach dem Zweck des Lebens.

Er verzwirnte in Muster von Gut und Böse

Die unverstellte Einfachheit tierhaften Tuns;

Er verbog den geraden Pfad, gebahnt von den Göttern des Leibes,

Folgte dem Zickzackkurs des ungewissen Laufs

Des Lebens, das wandernd nach seinem Ziele sucht

Im blassen Sternenlicht, das von den Himmeln des Denkens fällt,

Seine Führer die vage Idee, der schwankende Wille.

Verloren war die sichere Einheit des Instinkts

Mit der Pfeilspitze des Wesens innerster Sicht,

Gestört die sicheren Schritte der Natur einfachen Gang

Und Wahrheit und Freiheit in der wachsenden Seele.

Aus einer alterslosen Unschuld und aus dem Frieden,

Privileg der Seelen, noch nicht zur Geburt verleitet,

Hinabgeworfen, um zu leiden auf dieser hart gefahrvollen Erde,

Begann unser Leben mit Schmerz und einem Schrei.

Heißt Erdnatur auch willkommen des Himmels Atem,

Beseelend Materie mit dem Willen zu leben,

Bestürmen doch tausend Übel die Stunden des Sterblichen

Und tragen die natürliche Freude des Lebens ab;

Eine klug gemachte Maschine ist unser Körper,

Doch ebenso klug geplant für all seine Teile,

Mit dämonischem Geschick raffiniert erdacht,

Sein dazu passend unvermeidliches Erbe

Von tödlicher Gefahr und eigentümlichem Schmerz,

Seine Steuerzahlung an die Zeit und an das Schicksal,

Seine Art zu leiden und seine Art zu sterben.

Dies ist das Lösegeld für unseren hohen Stand,

Das Zeichen und das Siegel unseres Menschentums.

Eine grausige Kumpanei von Krankheiten

Kommt mietberechtigt in des Menschen leiblich Haus,

Versorger des Todes und Peiniger des Lebens.

In den heimtückischen Hohlräumen der Welt

Liegen in unterbewussten Höhlengängen

Im Hinterhalt sie, der Stunde harrend zum Sprung,

Umzingelnd mit Gefahr die belagerte Stadt des Lebens:

Einlass gewährt in die Zitadelle des Menschen Tage

Untergraben seine Kraft sie und verstümmeln oder töten jäh.

Wir hegen in unserem Innern todbringende Kräfte;

Wir nehmen unsere Feinde als Gäste auf:

Aus ihren Löchern kriechen sie wie Bestien und zernagen

Die Saiten an des göttlichen Spielers Leier

Bis klanglos und dünn die Musik erstirbt

Oder schrill mit einer letzten tragischen Note bricht.

Alles, was wir sind, gleicht einer belagerten Festung:

Alles, was wir zu sein uns mühen, ändert sich wie ein Traum

In dem grauen Schlaf der Materie Unwissenheit.

Der mentale Geist leidet, gelähmt vom Missklang der Welt

Und der Lieblosigkeit menschlicher Dinge.

Ein Schatz, vergeudet oder billig und nutzlos verkauft

Auf dem Basar eines blinden Geschicks,

Ein Geschenk von unschätzbarem Wert von den Göttern der Zeit,

Verloren oder verlegt in einer achtlosen Welt,

Ist Leben ein versäumtes Wunder, eine entgleiste Kunst;

Ein Sucher an einem finsteren und obskuren Ort,

Ein Krieger, schlechtgerüstet vor furchtbarer Übermacht,

Ein Lehrling, betraut mit einem schwierigen Werk,

Ein unwissender Richter vor Problemen, die Unwissenheit schuf,

Erreichen seine Höhenflüge Tore, verschlossen und schlüssellos,

Versickern seine ruhmreichen Ausbrüche im Schlamm.

Was Natur dem Menschen gibt behaftet ein Fluch:

Von den eigenen Gegensätzen umarmt wandelt alles,

Irrtum ist der Genosse unseres sterblichen Denkens

Und tief im Schoße der Wahrheit lauert Falschheit,

Sünde vergiftet mit ihren bunten Blumen der Freude

Oder hinterlässt ein rotes Wundmal, eingebrannt der Seele;

Tugend ist eine graue Knechtschaft und ein Kerker.

Bei jedem Schritt ist ein Fallstrick uns gelegt.

Fremd der Vernunft und dem Lichte des Geistes,

Entspringt der Quell unseres Handelns einer Finsternis;

In Unwissen und Nichtwissen sind wir verwurzelt.

Ein wachsendes Register von Unglücken

Ist der Vergangenheit Bericht, der Zukunft Schicksalsbuch:

Die Jahrhunderte türmen des Menschen Torheiten und Frevel

Auf die zahllose Menge der Übel der Natur;

Als wäre nicht genug die Steinlast der Welt,

Wird stur noch weiter die Saat des Elends gestreut

In die Furchen der Götter von seiner eigenen Hand,

Der gewaltig wachsende unheilvolle Ertrag geerntet

Von alten Missetaten, die längst begrub vergessliche Zeit.

Er geht freiwillig in die Fallstricke der Hölle;

Dies sterbliche Geschöpf ist sein eigener ärgster Feind.

Seine Wissenschaft erwirkt den Untergang;

Er durchwühlt die Erde nach Mitteln, seiner Art zu schaden;

Er vernichtet sein Glück und das Wohl anderer.

Nichts hat er aus Zeit und deren Geschichte gelernt;

Wie einst in der rohen Jugend der Zeit,

Als die Erde unwissend auf den Straßen des Schicksals lief,

Haften alte Formen des Bösen an der Seele der Welt:

Krieg, der die süß lächelnde Ruhe des Lebens verjagt,

Schlacht und Plünderung, Zerstörung und Massaker

Sind noch immer der wilde Zeitvertreib streitender Menschenstämme;

Eine Stunde Tollheit zerstört, was Jahrhunderte erschufen,

Sein rücksichtsloser Zorn oder rasender Hass stürzt um

Die Schönheit und Größe, die sein Genius erwirkte,

Und das gewaltige Zeugnis der Arbeit eines Volkes.

Zum Abgrund zieht er alles, was er vollbrachte.

Seine Größe kehrt er in ein Epos von Untergang und Fall;

Seine Kleinheit kriecht zufrieden durch Schmutz und Schlamm,

Er ruft des Himmels Vergeltung auf sein Haupt

Und suhlt im selbstgeschaffenen Elend sich.

Als Mitverfasser der kosmischen Tragödie

Verschwört sich sein Wille mit Tod und Zeit und Schicksal.

Sein kurzer Auftritt auf der rätselhaften Erde

Wiederholt sich stets doch bringt nichts Hohes ein

Diesem Wanderer durch Gottes Äonenringe,

Die schließen sein Leben in ihre unermessliche Langlebigkeit.

Seiner Seele weite Suche und ewig wiederkehrendes Hoffen

Folgt dem nutzlosen Umlauf dieser Bahn

In einer vergeblichen Wiederholung von verlorenen Mühen

Auf einer Spur von bald vergessenen Leben.

Alles ist eine Episode in einer sinnlosen Geschichte.

Warum dies alles und wozu sind wir hier?

Wenn zu irgendeinem Wesen von ewiger Seligkeit

Zurückzukehren unseres Geistes Bestimmung ist

Oder zu einer unpersönlichen Höhe von endloser Ruhe,

Da wir doch Jenes sind und aus Jenem kamen,

Woher entstieg dann dies seltsame und fruchtlose Zwischenspiel,

Das unnütz überdauert die unaufhörliche Zeit ?

Wer wollte da ein Universum erbauen oder vortäuschen

In der kalten und endlosen Leere des Raumes?

Oder wenn diese Wesen sein mussten und ihr kurzes Leben,

Wozu bedarf es einer Seele von Unwissenheit und Tränen?

Woher erhob sich der Ruf nach Kummer und Schmerz?

Oder kamen alle hilflos ohne einen Grund?

Welche Macht zwang den unsterblichen Geist zu Geburt?

Der einstmals ewige Zeuge der Ewigkeit,

Ein todloser Wanderer inmitten flüchtiger Kulissen,

Er kampiert im halbbeleuchteten Dunkel des Lebens

Zwischen dem Schutt seiner Gedanken und Träume.

Oder wer bewog ihn aus der Seligkeit zu fallen

Und sein unsterbliches Vorrecht zu vertun?

Wer legte ihm den unablässigen Willen auf

Als Wanderer in dieser schönen, sorgenvollen Welt zu leben

Und seine Last der Freude, des Kummers und der Liebe zu tragen?

Oder wenn auf die Werke der Zeit kein Wesen blickt,

Welch harte unpersönliche Notwendigkeit

Erzwingt dann das eitle Mühen kurzlebiger Dinge?

Eine großartige Illusion hätte dann die Sterne geformt.

Wo aber bleibt dann der Seele Gewissheit,

Ihr fester Stand in diesem Kreisen unwirklicher Sonnen?

Oder ist sie eine Wanderin fern der Heimat,

Abgeirrt in der Sackgasse von Zeit und Zufall

Und findet keinen Ausweg aus einer sinnlosen Welt.

Oder wo beginnt und endet das Reich der Illusion?

Vielleicht ist die Seele, die wir fühlen, nur ein Traum,

Das ewige Selbst ein in Trance verspürter Trug?“

Nach einem Schweigen gab Narad Antwort dann:

Seine Lippen auf irdischen Ton stimmend sprach er,

Und etwas vom tiefen Sinn des Schicksals

Gewichtete die zarten Winke sterblicher Rede nun.

Seine Stirn erstrahlte in feierlicher Vision,

Zu einer Tafel himmlischer Gedanken verklärt,

Als hätten Schriftzeichen einer ungeschriebenen Sprache

Ihre Inschriften der Götter darauf gelassen.

Entblößt in diesem Lichte rang das Zeit-Wesen , sein ungesehenes

Wirken aufgedeckt; die weitreichend und weitsichtig

Unfertigen Entwürfe, die sein äonischer Flug entrollte,

Waren schon verzeichnet in jenem weltweiten Blick.

„War denn die Sonne nur ein Traum, weil die Nacht einbricht?

Im Herzen des Sterblichen lebt verborgen der Ewige:

Er lebt insgeheim in der Kammer deiner Seele,

Ein Licht scheint dort, das kein Schmerz und Kummer durchkreuzt.

Es steht eine Dunkelheit zwischen dir und ihm,

Nicht fühlen oder hören kannst du den herrlichen Gast,

Nicht sehen kannst du die beseligende Sonne.

O Königin, dein Denken ist ein Licht von der Unwissenheit,

Sein leuchtender Vorhang verbirgt vor dir Gottes Antlitz.

Es beleuchtet eine Welt, geboren aus dem Nichtbewussten,

Verdeckt des Unsterblichen Bedeutung in der Welt jedoch.

Deines Mentals Licht verbirgt des Ewigen Denken vor dir,

Deines Herzens Hoffnungen verbergen des Ewigen Willen vor dir,

Der Erde Freuden verschließen des Unsterblichen Seligkeit vor dir.

Daraus entstand die Notwendigkeit eines dunklen eindringenden Gottes,

Der Welt furchtbarer Lehrer, der Schöpfer, Schmerz.

Wo Unwissenheit ist, da muss auch das Leid kommen;

Dein Kummer ist ein Schrei der Finsternis nach dem Licht;

Schmerz war der Erstgeborene des Nichtbewussten,

Das der stumme Urgrund deines Körpers war;

Schmerz schlief dort schon in unterbewusster Form:

Als Schatten harrt er in einem schattig düsteren Schoß

Bis Leben sich regt, dass er erwache und sei.

Zusammen mit der Freude spross die fürchterliche Macht .

In Lebens Brust ward er geboren, den Zwilling hielt er verborgen;

Doch Schmerz kam zuerst, danach erst konnte Freude sein.

Schmerz pflügte den ersten harten Boden verschlafener Welt.

Durch Schmerz fing in der Erdscholle Geist zu erwachen an,

Durch Schmerz brach Leben in der unterschwelligen Tiefe auf.

Gebunden, versenkt, verborgen in der Materie Trance

Kam langsam zu sich der Träumer, das schlafende Mental;

Es machte aus seinen Träumen ein sichtbar Reich,

Es entnahm den unterbewussten Tiefen all seine Formen,

Dann schaute es sich um in der Welt, die es geschaffen hatte.

Durch Schmerz und Freude, dem lichten und düsteren Zwilling,

Ward die unbelebte Welt ihrer fühlenden Seele inne,

Sonst hätte das Nichtbewusste nie Wandlung erfahren.

Schmerz ist der Hammer der Götter mit dem sie brechen

Einen dumpfen Widerstand in des Sterblichen Herz,

Sein träges Beharren wie von lebendem Stein.

Würde sein Herz nicht zum Wünschen und Weinen gebracht,

So läge seine Seele zufrieden da, ganz behaglich,

Und hätte nie daran gedacht, den Menschenbeginn zu überschreiten,

Und nie gelernt, zur Sonne emporzuklimmen.

Diese Erde ist voll von Mühsal, bepackt mit Schmerz;

Wehen einer endlosen Geburt martern noch immer sie;

Die Jahrhunderte enden, die Zeitalter gehen nutzlos dahin

Und doch ist die Gottheit noch nicht geboren in ihr.

Die uralte Mutter begegnet allem mit Freude,

Ruft nach dem brennenden Schmerz, dem grandiosen Schauer;

Denn alle Schöpfung kommt unter Mühsal und Schmerz.

Diese Erde ist voll von den Qualen der Götter;

Immer mühen sie sich, angetrieben vom Sporn der Zeit,

Und streben da auszuarbeiten den ewigen Willen

Und bauen in sterblichen Formen das göttliche Leben auf.

Sein Wille wirkt sich heraus in menschlicher Brust

Entgegen dem Bösen , das den Schlünden entsteigt,

Entgegen der Unwissenheit der Welt und ihre starrsinnige Kraft,

Entgegen den Verirrungen des Menschen entstellten Willens,

Entgegen der tiefen Torheit seines menschlichen Mentals,

Entgegen der blinden Störrigkeit seines Herzens.

Der Geist ist zu Schmerz verurteilt, bis frei ist der Mensch.

Da ist ein Kampfgetöse, ein Getrampel, ein Marsch:

Ein Schrei erhebt sich wie ein klagendes Meer,

Ein verzweifeltes Lachen unter den Schlägen des Todes,

Ein Fluch von Blut und Schweiß und Mühsal und Tränen.

Menschen sterben, das lebe der Mensch und Gott sich gebär‘.

Ein ehrfürchtiges Schweigen blickt auf tragische Zeit.

Schmerz ist die Hand der Natur , die da formt den Menschen

Zu Größe: Eine inspirierte Arbeit meißelt

Mit himmlischer Grausamkeit an einer störrischen Form.

Unerbittlich in der Leidenschaft ihres Willens,

Hebend die Hämmer titanischen Mühens,

Wirken die Demiurgen des Universums;

Mit gigantischen Schlägen formen sie die Ihrigen; ihre Söhne

Sind geprägt mit ihrem maßlosen Feuermal.

Obwohl die gewaltige Berührung des formgebenden Gottes

Eine unerträgliche Tortur für sterbliche Nerven ist,

Nimmt der feurige Geist im Innern an Stärke zu

Und fühlt eine Freude an jeder Titanenqual.

Wer sich selber retten will, lebt karg und ruhig;

Wer die Menschheit retten will, muss teilen ihren Schmerz:

Dies wird erfahren, wer dem grandiosen Drang gehorcht.

Die Großen, die kamen, diese leidende Welt zu retten

Und vom Schatten von Zeit und Gesetz zu erlösen,

Müssen durch unter dem Joch von Kummer und Schmerz;

Sie werden vom Rad erfasst, das sie brechen wollten,

Sie müssen schultern des Menschen Schicksalslast.

Himmels Schätze bringen sie, ihre Leiden der Preis,

Oder sie lassen ihr Leben für des Wissens Geschenk.

Der Sohn Gottes, geboren als der Sohn des Menschen,

Hat den bitteren Kelch geleert, der Gottheit Schuld anerkannt,

Die Schuld des Ewigen bei dem gefallenen Geschlecht,

Das sein Wille an Tod und ringendes Leben band,

Das vergebens sich nach Ruhe und endlosem Frieden sehnt.

Jetzt ist die Schuld beglichen, getilgt die alte Rechnung.

Der Ewige leidet in einer menschlichen Gestalt,

Er hat das Testament der Erlösung unterzeichnet mit seinem Blute:

Er hat die Tore geöffnet zu seinem unvergänglichen Frieden.

Die Gottheit gleicht aus den Anspruch des Geschöpfes,

Der Schöpfer nimmt auf sich das Gesetz von Schmerz und Tod;

Eine Vergeltung trifft den menschgewordenen Gott.

Seine Liebe hat dem Sterblichen den Weg zum Himmel gebahnt:

Er hat sein Leben und sein Licht gegeben, um hier auszugleichen

Das dunkle Konto der sterblichen Unwissenheit.

Es ist vollbracht, das schreckliche mysteriöse Opfer,

Dargebracht der Welt von Gottes gemartertem Leib;

Gethsemane und Golgatha sind sein Los,

Er trägt das Kreuz, an das genagelt ist des Menschen Seele;

Die Schmähungen der Menge sind sein Geleit;

Schimpf und Spott sind die Anerkennung seines Rechts;

Zwei mitgeschundene Diebe verhöhnen seinen mächtigen Tod.

Er hat mit blutender Stirn den Weg des Heilands beschritten.

Wer seine Wesenseinheit mit Gott gefunden hat,

Bezahlt mit des Körpers Tod seiner Seele Licht.

Sein Wissen triumphiert unsterblich durch seinen Tod.

Angeschlagen, gevierteilt auf dem Gerüst,

Verkündet seine gekreuzigte Stimme: ‚Ich, ich bin Gott;‘

‚Ja, alles ist Gott’ , hallt wider des Himmels todloser Ruf.

Die Saat der Gottheit schlummert in sterblichen Herzen,

Die Blüte der Gottheit wächst an dem Weltenbaum:

In sich und allem wird jeder Gott erspüren.

Kommt aber Gottes Bote der Welt zu helfen

Und die Seele der Erde zu Höherem zu führen,

Muss auch er tragen das Joch, das zu lösen er kam;

Auch muss er den Schmerz erdulden, den er heilen will:

Verschont und nicht betroffen vom Schicksal der Erde,

Wie könnte er heilen die Übel, die er nie verspürte?

Die Qual der Welt bedeckt er mit seiner Ruhe;

Erscheint dem äußeren Auge auch kein Zeichen

Und wird unserem zerrissenen Menschenherz Friede geschenkt,

So ist der Kampf doch da, wird bezahlt der unsichtbare Preis;

Das Feuer, der Zwist, das Ringen tobt im Innern.

Er trägt die leidende Welt in seiner Brust;

Ihre Sünden lasten auf seinen Gedanken, ihr Kummer ist der seine:

Schwer liegt der Erde uralte Bürde auf seiner Seele;

Die Nacht und ihre Mächte belauern seine schleppenden Schritte,

Den Würgegriff des Widersachers, des Titanen, hält er aus;

Sein Marsch ist eine Schlacht und eine Pilgerfahrt.

Des Lebens Übel schlägt zu, er ist vom Schmerz der Welt gezeichnet:

Millionen Wunden klaffen in seinem verschwiegenen Herzen.

Schlaflos durch eine nie endende Nacht wandert er;

Es wimmelt von Feindeskräften auf seinem Pfad;

Eine Belagerung, ein Gefecht ist sein Leben im Innern.

Noch schlimmer kann der Preis sein, schrecklicher der Schmerz:

Seine weite Wesenseinheit und allbehausende Liebe

Bringen in seine Tiefen die kosmische Qual,

Die Trübsal alles Lebendigen wird kommen

Und an seine Pforte klopfen und in seinem Hause leben;

Ein furchtbarer Strick des Mitgefühls kann binden

Alles Leid in sein alleinig Leid und machen

Alle Qual in all den Welten zur seinigen.

Er trifft auf eine uralte feindliche Kraft,

Ihn peitschen Geißeln, die der Welt zermürbtes Herz zerreißen;

Das Weinen der Jahrhunderte sucht seine Augen heim:

Er trägt das blutverklebte feurige Zentaurenhemd,

Das Gift der Welt hat seine Kehle gefärbt.

Auf dem Marktplatz der Hauptstadt der Materie,

Inmitten des Feilschens um jene Sache, die man Leben nennt,

Ist er an den Pfahl eines ständigen Feuers gebunden;

Er brennt an einem ungesehenen ursprünglichen Rande,

Auf dass Materie sich in Geistesstoff wandeln möge:

Das Opfer in seiner Darbringung ist er selbst.

Der Unsterbliche, gebunden an die Sterblichkeit der Erde,

Erscheinend und sterbend auf den Straßen der Zeit ,

Erschafft Gottes Momente durch den Puls der Ewigkeit.

Er stirbt, auf dass sich neu gebär‘ und lebe die Welt.

Auch wenn er den grimmigsten Feuern entkommt,

Auch wenn nicht die Welt hereinbricht, ein ertränkendes Meer,

Wird hoher Himmel nur durch hartes Opfer erlangt:

Wer Hölle bezwingen will, muss dem Kampf, der Pein sich stellen.

Eine dunkle Feindseligkeit haust insgeheim

In den menschlichen Tiefen, in dem verborgenen Herz der Zeit,

Die das Recht beansprucht, zu ändern und vereiteln Gottes Werk.

Eine geheime Gegnerschaft überfällt hinterlistig den Marsch der Welt;

Sie hinterlässt ein Brandmal auf Denken, Sprechen und Handeln:

Alles Getane prägt sie mit Makel und Fehl;

Solange sie nicht vernichtet ist, gibt es keinen Frieden auf Erden.

Da ist kein Feind zu sehen, doch das Unsichtbare

Umzingelt uns, ungreifbar belagern Kräfte uns,

Berührungen aus fremden Reichen, Gedanken, nicht die unsrigen,

Befallen uns und treiben das irrende Herz;

Unser Leben verfängt sich in einem zweideutigen Netz.

Eine feindselige Kraft ist da von alters her:

Als Eindringling im Leben des sterblichen Menschen

Verbirgt sie vor ihm den geraden unsterblichen Weg.

Eine Macht kam herein, zu verschleiern das ewige Licht ,

Eine Macht, die sich dem ewigen Willen widersetzt,

Lenkt die Botschaften des unfehlbaren Wortes ab,

Verzerrt die Konturen des kosmischen Plans:

Ein Flüstern lockt zum Bösen das menschliche Herz,

Sie versiegelt der Weisheit Augen, der Seele Blick,

Sie ist der Ursprung unseres Leidens hier,

Sie bindet die Erde an Unheil und Schmerz.

All dies muss bezwingen, wer Gottes Frieden herniederbringen will.

Diesen versteckten Feind, der da haust in der menschlichen Brust,

Muss der Mensch besiegen, oder sein höheres Geschick verfehlen.

Dies ist der innere Krieg, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Hart ist des Welterlösers schwere Aufgabe;

Die Welt wird selber zu seinem Widersacher,

Jene, die er retten wollte, sind seine Gegenspieler:

Verliebt in das eigene Unwissen ist diese Welt,

Ihr Dunkel kehrt sich ab von des Heilands Licht,

Sie gibt für die Krone das Kreuz zum Lohne.

Sein Werk ist ein Tropfen Glanz in einer langen Nacht;

Er sieht den langen Marsch der Zeit, das wenig Gewonnene;

Einige wenige sind gerettet, der Rest ringt weiter und versagt:

Eine Sonne ging dahin, auf die Erde fällt der Schatten der Nacht.

Ja, es gibt glückliche Wege nahe an Gottes Sonne;

Wenige aber beschreiten den sonnenhellen Pfad;

Nur wer eine reine Seele hat, kann im Lichte wandeln.

Ein Ausgang wird gezeigt, ein schwerer Fluchtweg

Aus dem Leid und der Dunkelheit und der Verkettung;

Doch wie sollen ein paar Entkommene die Welt befreien?

Die menschliche Masse schmachtet unter dem Joch.

Flucht, wie hoch hinaus auch immer, erlöst das Leben nicht,

Leben, das zurückbleibt auf einer gefallenen Erde.

Flucht kann nicht erheben die preisgegebene Menschenart

Oder ihr den Sieg bringen und das Reich Gottes .

Eine größere Macht muss kommen, ein helleres Licht.

Wächst auch auf Erden das Licht und weicht die Nacht,

Solange nicht das Böse erschlagen ist in seinem eigenen Hause

Und Licht in den nichtbewussten Grund der Welt eindringt

Und die gegnerische Kraft zugrunde ging,

Muss weiter er ringen, sein Werk erst halb getan.

Einer mag jedoch gewappnet kommen, unbesiegbar;

Sein Wille trifft unbewegt die bewegte Stunde;

Die Schläge der Welt können dies Siegerhaupt nicht beugen;

In der wachsenden Nacht ist ruhig und fest sein Schritt;

Weicht das Ziel zurück, so treibt er sich nicht zur Eile,

Er wendet sich nicht an hohe Stimmen in der Nacht;

Er bittet nicht um Hilfe bei den niederen Göttern;

Sein Blick ruht auf dem unverrückbaren Ziel.

Die Menschen wenden sich ab oder wählen leichtere Wege;

Er hält sich an den einen hohen und schwierigen Pfad,

Der allein zu den Gipfeln des Ewigen führen kann;

Die unsagbaren Ebenen verspürten schon seinen Schritt;

Er hat Himmel und Erde zu seinen Mitteln gemacht,

Doch fallen die Grenzen von Erde und Himmel von ihm ab;

Ihr Gesetz übersteigt er, aber nutzt es als sein Mittel.

Er hat des Lebens Hände ergriffen, gemeistert sein eigenes Herz.

Die Täuschungen der Natur führen nicht in die Irre seinen Blick,

Fest behält er das ferne Ziel der Wahrheit im Auge;

Schicksals tauber Widerstand kann nicht brechen seinen Willen.

In den furchtbaren Durchgängen, den unheilvollen Pfaden,

Unverwundbar seine Seele, sein Herz unversehrt,

Durchlebt er die Gegnerschaft der Erde Mächte

Und die Hinterhalte der Natur und die Attacken der Welt.

Seines Geistes Statur überragt Schmerz und Seligkeit,

Er begegnet Bösem und Gutem mit gleicher Ruhe.

Auch er muss ringen mit der rätselhaften Sphinx

Und in ihre uralte Dunkelheit eintauchen.

Er drang in die Tiefen des Nichtbewussten ,

Die sich verhüllen sogar der eigenen Sicht:

Er sah Gottes Schlummer diese magischen Welten erbauen.

Er sah dem stummen Gott beim Gestalten der Materie Rahmen zu,

Träumend die Träume seines unkundigen Schlafes,

Und nahm wahr die Kraft , die bewusstlos die Sterne schuf.

Er hat die Wirkensweisen des Nichtbewussten und sein Gesetz erkannt,

Sein ungeordnet Denken und starres Handeln,

Sein launenhaft Vergeuden von Impuls und Idee,

Das Chaos seiner mechanischen Frequenzen,

Seine wahllosen Rufe, seine scheinwahren Einflüsterungen,

Irreführer der vermummt lauschenden Seele.

Alles dringt an sein Ohr, aber nichts verbleibt;

Alles erhob sich aus der Stille, alles kehrt zurück in sein Schweigen.

Seine Schläfrigkeit begründet das Universum,

Sein obskures Wachsein lässt nichtig scheinen die Welt.

Dem Nichts entsprungen und dem Nichts zugewandt,

War sein dunkles und gewaltiges Nichtwissen der Erde Beginn;

Es ist das Ödnishafte, aus dem alles geschaffen ward;

In seine Tiefen kann Schöpfung kollabieren.

Sein Widerstand hemmt den Marsch der Seele,

Es ist die Mutter unserer Unwissenheit.

In dessen finstere Schlünde muss Licht er rufen,

Sonst kann Wahrheit nie den Schlaf der Materie bezwingen

Und die ganze Erde Gott in die Augen schauen.

Sein Wissen muss alles Dunkle neu erhellen,

Seine Macht muss alles Verdrehte entwirren:

Er muss an das andere Ufer des Meeres der Falschheit reisen,

Er muss in das Dunkel der Welt eintreten, um Licht dort hinzubringen.

Das Herz des Bösen muss vor seinen Augen entblößt werden,

Begreifen muss er dessen kosmisch dunkle Notwendigkeit,

Sein Recht und seine grässlichen Wurzeln im Boden der Natur.

Er muss den Gedanken kennen, der den Dämon zum Handeln treibt

Und den irrenden Stolz des Titanen rechtfertigt

Und die Falschheit, die in schwindelhaften Träumen der Erde lauert:

Er muss die Ewigkeit der Nacht betreten

Und Gottes Finsternis kennen, wie er seine Sonne kennt.

Dazu muss er hinuntergehen in den Höllenschlund,

Dazu muss er eindringen in die schmerzvollen Weiten.

Unvergänglich und weise und unendlich,

Und doch muss er durch die Hölle gehen, um die Welt zu retten.

Emportauchen wird er in das ewige Licht,

An Grenzen, wo sich all die Welten treffen;

Dort, am Rande der Gipfelstufen der Natur,

Ist das geheime Gesetz eines jeden Dinges erfüllt,

Alle Widerstreite von ihrer langen Uneinigkeit geheilt.

Dort treffen und umarmen sich, was ewig einander gegenübersteht,

Dort wird Schmerz zu einer heftig glühenden Freude;

Böses kehrt zurück zu seinem ursprünglich Guten

Und Kummer liegt am Busen der Seligkeit:

Sie hat frohe Tränen des Glückes weinen gelernt,

Ihr Blick ist beseelt von wehmütiger Ekstase.

Dann wird das Gesetz des Schmerzes hier ein Ende haben.

Die Erde wird zu einer Heimat von Himmels Lichte werden,

Ein Seher, himmelgeboren, wird menschliche Brust bewohnen;

Der überbewusste Strahl wird die Augen der Menschen berühren

Und die wahrheitsbewusste Welt zur Erde herniederkommen

Und mit dem Strahl des Geistes in Materie eindringen,

Weckend ihr Schweigen zu unsterblichen Gedanken,

Weckend das stumme Herz zum lebendigen Worte.

Dies sterbliche Leben wird die Seligkeit des Ewigen beherbergen,

Das Selbst des Körpers wird Unsterblichkeit kosten.

Dann ist das Werk des Welterlösers vollbracht.

Bis dahin muss Leben seine Saat des Todes tragen

Und Kummers Klage in der langsamen Nacht erschallen.

O Sterbliche, ertrage das Gesetz des Schmerzes dieser großen Welt,

Auf deinem schweren Gang durch eine leidende Welt

Stütze dich auf des Himmels Stärke für deiner Seele Halt,

Wende dich hoher Wahrheit zu, strebe nach Liebe und Frieden.

Ein wenig Glückseligkeit wird dir von oben verliehen,

Ein göttlicher Hauch auf deinen menschlichen Tagen.

Mache deinen täglichen Weg zur Pilgerreise,

Denn durch kleine Freuden und Sorgen bewegst du dich hin zu Gott.

Eile nicht zur Gottheit auf einem gefahrvollen Wege,

Öffne nicht deine Pforten für eine namenlose Macht,

Klimme nicht empor zur Gottheit auf dem Wege des Titanen.

Dem Gesetz setzt er seinen alleinigen Willen entgegen,

Stellt den Stolz seiner Macht ihm in den Weg.

Himmelwärts klettert er auf einer Treppe von Stürmen,

Trachtend der todlosen Sonne nah zu sein.

Er ringt mit einer gigantischen Kraft, um mit Gewalt

Dem Leben und der Natur das Recht der Unsterblichen zu entreißen;

Die Welt und Schicksal und Himmel nimmt er im Sturm.

Er tritt nicht vor des hohen Weltschöpfers Sitz,

Er wartet nicht auf die ausgestreckte Hand Gottes,

Dass sie ihn aus seiner Sterblichkeit hebe.

Alles will er sich zu eigen machen, nichts frei sein lassen,

Aufblähend sein kleines Ich, um sich mit dem Unendlichen zu messen.

Versperrend der Götter offene Wege, nimmt er

Die Luft und das Licht der Erde in Besitz;

Als Monopolist der Weltenergie

Beherrscht er das Leben von gewöhnlichen Menschen.

Seine und anderer Qualen macht er sich zunutze:

Auf Tod und Leid errichtet er seinen Thron.

In der Rasanz und dem Getöse seiner Taten der Macht,

In einer Schwelgerei und Ausschweifung von Ruhm und Schande,

Durch seine Maßlosigkeiten an Hass und Gewalt,

Durch das Beben der Welt unter seinem Schreiten,

Nimmt er es auf mit der Ruhe des Ewigen

Und fühlt in sich selbst die Größe von einem Gott:

Macht ist sein Bild von einem himmlischen Selbst.

Des Titanen Herz ist ein Meer von Feuer und Kraft;

Er frohlockt beim Tod der Dinge, bei Untergang und Fall,

Er nährt seine Kraft mit seinem und anderer Schmerz;

Er schwelgt im Pathos der Welt und ihrer Passion,

Sein Stolz, seine Macht verlangen nach Kampf und Schmerz.

Er weidet sich an den Leiden des Fleisches

Und bedeckt die Wundmale mit dem Namen des Stoikers.

Seine Augen, geblendet und schaulos, starren in die Sonne,

Des Suchers Sehen , von seinem Herzen zurückgewichen,

Findet nicht mehr das Licht der Ewigkeit;

Er sieht das Jenseits als eine seelenlose Leere

Und hält seine Nacht für eine dunkle Unendlichkeit.

Seine Wesensart verherrlicht die Öde des Unwirklichen

Und sieht im Nichts die einzige Wirklichkeit:

Aufprägen will er der Welt sein einzig Bild,

Heimsuchen der Welt Gerüchte mit seinem eigenen Namen.

Ihm sind seine Augenblicke Zentrum des weiten Universums.

Er sieht sein kleines Selbst als leibhaften Gott.

Sein kleines ‚Ich’ hat die ganze Welt verschlungen,

Sein Ego hat sich ins Unendliche gereckt.

Sein Mental, ein Pulsschlag im ursprünglichen Nichtsein,

Chiffriert sein Denken auf eine Schiefertafel stundenloser Zeit.

Er baut auf einem mächtigen Seelenvakuum

Eine große Philosophie des Nichtigseins.

Nirvana lebt und spricht und handelt in ihm,

Unmöglicherweise erschaffend ein Universum.

Eine ewige Null ist sein formlos Selbst,

Sein Geist das leere unpersönlich Absolute.

Mach‘ nicht diesen Schritt, O wachsende Menschenseele;

Wirf nicht dein Selbst in diese Nacht Gottes.

Das Leiden der Seele ist nicht der Schlüssel zur Ewigkeit,

Noch Freikauf durch Kummer des Himmels Forderung ans Leben.

O Sterbliche, ertrage, aber rufe nicht den Schlag,

Zu bald schon finden Gram und Pein dich auf.

Für deinen Willen ist jenes Wagnis viel zu groß;

Nur in Grenzen kann des Menschen Stärke sicher sein;

Und dennoch ist Unendlichkeit deines Geistes Ziel;

Ihre Seligkeit ist dort hinter dem tränenreichen Antlitz der Welt.

Eine Macht ist in dir, die du nicht kennst;

Für den gefangenen Funken bist du ein Gefäß.

Befreiung sucht er aus der Umklammerung der Zeit ,

Und solange du ihn einschließt, bleibt Schmerz das Siegel:

Seligkeit ist die Krone der Gottheit , ewig, frei,

Entbürdet von des Lebens blindem Mysterium Schmerz:

Schmerz ist die Signatur der Unwissenheit

Und bezeugt den geheimen Gott, den Leben verneint:

Solange Leben ihn nicht findet, kann Schmerz nicht enden.

Ruhe ist des Selbstes Sieg, der Schicksal bezwingt.

Ertrage; du wirst letztlich deinen Weg zur Seligkeit finden.

Seligkeit ist der geheime Stoff von allem, was lebt,

Selbst Schmerz und Leid sind Kleider einer Weltwonne,

Sie verbirgt sich hinter deinem Kummer und deinem Schrei.

Weil deine Stärke ein Teil und nicht Gottes Ganzheit ist,

Weil bedrängt von dem kleinen Selbst

Dein Bewusstsein vergisst, dass es göttlich ist

Wenn es da so wandelt im nebulösen Halbschatten des Fleisches

Und der Welt gewaltige Berührung nicht erträgt,

Jammerst du und klagst, es schmerze da.

Gleichgültigkeit, Schmerz und Freude, eine dreifache Verkleidung,

Gewand des verzückten Tänzers auf seinen Wegen,

Enthalten dir den Körper von Gottes Seligkeit vor.

Die Stärke deines Geistes wird dich einen mit Gott,

Dein Schmerz wird sich wandeln in Ekstase,

Gleichgültigkeit sich vertiefen in die Ruhe des Unendlichen

Und Freude wird nackt auf den Gipfeln des Absoluten lachen.

O Sterbliche, die du über Tod und Schicksal klagst,

Beschuldige niemanden des Unheils, das du selbst gerufen hast;

Diese geplagte Welt hast du zu deiner Heimat erkoren,

Du selbst bist die Urheberin deines Schmerzes.

Einst im unsterblich Grenzenlosen des Selbstes,

In einer Weite von Wahrheit und Bewusstsein und Licht

Hielt die Seele Ausschau aus ihrem glückseligen Sein.

Sie fühlte des Geistes endlose Seligkeit,

Sie wusste sich als todlos, zeitlos, raumlos, eins,

Sie sah den Ewigen, lebte in dem Unendlichen.

Dann, neugierig auf einen Schatten, den Wahrheit warf,

Drängte sie nach einer Andersartigkeit ihrer selbst,

Gelockt zu einem unbekannten Gesicht , das spähte durch Nacht.

Sie spürte eine verneinende Unendlichkeit,

Eine urgewaltige Leere, deren immense Maßlosigkeit

Durch Nachahmung Gottes und immerwährender Zeit

Einen Boden bot für die Gegenkunft der Natur

Und die starre harte Unbewusstheit der Materie,

Die beherbergt einer vergänglichen Seele Glanz,

Der Geburt und Tod und unwissendes Leben erhellt.

Ein Mental entstieg, das auf Nichtsein starrte,

Bis Figuren von dem sich formten, was nie konnte sein;

Sie behauste das Gegenteil von allem, was ist.

Eine Null erschien als des Seins gewaltige versiegelte Ursache,

Seine stumme Stütze in einem öden Unendlichen,

In dessen Schlund Geist verschwinden musste:

Eine verfinsterte Natur lebte und trug die Saat

Des Geistes, der verborgen ist und vorgibt, nicht zu sein.

Ewiges Bewusstsein ward zur Ausgeburt

Eines Nichtbewussten , allmächtig und seelenlos,

Und, nicht geschöpft mehr als des Geistes ursprüngliche Luft,

Seligkeit war nur ein Zwischenfall einer sterblichen Stunde,

Ein Fremdling im empfindungslosen Universum nun.

Wie jemand, der von der Erhabenheit der Leere angezogen wird,

Beugte sich die Seele über den Schlund :

Sie sehnte sich nach dem Abenteuer der Unwissenheit

Und nach dem Wunder und Überraschendem des Unbekannten

Und der endlosen Möglichkeit, die da lauerte

Im Schoße des Chaos und im Rachen des Nichts

Oder aus den abgründigen Augen des Zufalls blickte.

Sie war ihres immer gleichen Glückes müde,

Sie wandte sich ab von Unsterblichkeit:

Sie ward angezogen von des Wagnisses Ruf und Reiz der Gefahr,

Sie sehnte sich nach dem Pathos des Leides, dem Drama des Schmerzes,

Des Untergangs Gefahr, verwundet nacktem Entrinnen,

Der Musik des Ruins und seinem Glanz und Getöse,

Dem Geschmack von Mitleid und dem Glücksspiel der Liebe

Und Leidenschaft und dem zweideutigen Gesicht des Schicksals .

Eine Welt von hartem Bestreben und schwieriger Mühe,

Und Kampf an der Auslöschung gefährlichem Rand,

Ein Zusammenprall der Kräfte, eine große Ungewissheit,

Die Freude am Erschaffen aus dem Nichts,

Seltsame Begegnungen auf den Straßen der Unwissenheit

Und die Kameradschaft halb gekannter Seelen

Oder die einsam auf sich gestellte Größe und Kraft

Eines gesonderten Wesens, das sich seine Welt erobert,

Riefen sie aus ihrer zu sicheren Ewigkeit.

Ein ungeheurer Abstieg begann, ein gigantischer Fall:

Denn was der Geist sieht, schafft eine Wahrheit,

Und was die Seele sich vorstellt, wird zu einer Welt.

Ein Gedanke , der dem Zeitlosen entsprang,

Indikator für kosmische Auswirkung

Und das Itinerarium der Götter,

Kann eine zyklische Bewegung in ewiger Zeit werden.

So kam, geboren aus einer blind gewaltigen Wahl,

Diese große verstörte und unzufriedene Welt,

Diese Heimstatt der Unwissenheit, diese Stätte des Schmerzes:

Da stehen der Begierde Zelte, des Leids Hauptquartiere.

Eine weite Verkleidung verbirgt die Seligkeit des Ewigen.

Darauf erwiderte Aswapati dem Seher:

„Wird denn der Geist von einer äußeren Welt beherrscht?

O Seher, gibt es kein Mittel im Innern?

Was aber ist Schicksal , wenn nicht der Wille des Geistes

Erfüllt nach langer Zeit durch kosmische Kraft?

Mir schien, es kam eine starke Macht mit ihr;

Ist diese Macht denn nicht Schicksals hoher Standesgenosse?“

Doch Narad antwortete, indem er Wahrheit mit Wahrheit verdeckte:

„O Aswapati, Zufall scheinen die Wege,

An deren Rändern entlang ihr eilt oder irrt

In beiläufigen Stunden oder Augenblicken der Götter,

Doch ist euer kleinstes Straucheln dort oben vorhergesehen.

Unfehlbar sind da gezogen die Lebensbögen,

Folgend durch das Unbekannte dem Strom der Zeit ;

Den Faden halten die ruhigen Unsterblichen.

Diese kunstvolle Hieroglyphe prophetischer Morgen

Schreibt, symbolisch dargestellt, einen großartigeren Sinn

Als versiegelt Denken gewahrt, doch wie überzeugt

Von der hohen Schrift meine Stimme der Erde Geist?

Himmels weisere Liebe weist des Sterblichen Gebet zurück;

Vom Atem seines Begehrens ungeblendet,

Von Nebeln der Angst und Hoffnung unumwölkt,

Neigt sie sich über der Liebe Kampf mit dem Tod;

Sie wahrt für deine Tochter ihr Privileg des Schmerzes.

Eine Größe wohnt in ihrer Seele,

Die sie und alles ringsherum verändern kann

Doch gehen muss auf Steinen des Leidens hin zum Ziel.

Obwohl geformt wie ein Nektarkelch des Himmels,

Aus himmlischem Äther gemacht, suchte sie diese Luft,

Muss auch sie das menschliche Soll an Kummer teilen

Und all ihr Grund zur Freude wandeln sich in Schmerz.

Von Worten lässt sich führen des sterblichen Menschen Mental,

Seine Sicht zieht sich hinter die Mauern des Denkens zurück

Und schaut nur durch halbgeöffnete Pforten hinaus.

Er schneidet die grenzenlose Wahrheit in Himmelsstreifen

Und jeden Streifen hält er für den ganzen Himmel.

Er starrt auf unbegrenzte Möglichkeit

Und gibt der formbaren Weite den Namen Zufall;

Er sieht die Auswirkungen einer allweisen Kraft,

Die in endloser Zeit eine Folge von Schritten plant,

Doch hält deren Glieder für eine sinnlose Kette

Oder für die tote Hand einer kalten Notwendigkeit;

Dem Herz der mystischen Mutter antwortet er nicht,

Bemerkt nicht das glühende Beben ihrer Brust

Und fühlt nur kalte starre Glieder eines leblosen Gesetzes .

Den Willen des Zeitlosen , sich ausarbeitend in der Zeit

In den freien absoluten Schritten kosmischer Wahrheit ,

Hält er für ein leblos Getriebe oder unsinnig Geschick .

Eines Magiers Formeln schufen der Materie Gesetze,

Die alles binden solange sie währen;

Doch braucht es für jede Tat die Zustimmung des Geistes

Und Freiheit geht im Gleichschritt mit dem Gesetz.

Wenn der Magier will kann alles sich ändern hier.

Könnte menschlicher Wille eins sein mit Gottes Willen,

Könnte menschliches Denken widerhallen Gottes Gedanken,

So wäre allwissend und allmächtig der Mensch;

Doch jetzt wandelt er im zweifelhaften Strahl der Natur.

Und doch kann das Mental des Menschen Gottes Licht empfangen,

Kann die Kraft des Menschen von Gottes Kraft getrieben werden,

Dann ist er ein Wunder, das Wunder vollbringt.

Nur so kann über Natur er König sein.

Es ist verfügt, dass Satyavan sterben muss;

Die Stunde steht fest, verhängt ist der Todesstreich.

Was sonst noch sein wird steht in ihrer Seele geschrieben,

Bis aber die Stunde die schicksalhafte Schrift erschließt,

Muss warten stumm und unlesbar die Schrift.

Schicksal ist Wahrheit , die sich im Unwissen auswirkt.

O König, dein Schicksal wird ausgehandelt

Von Stunde zu Stunde zwischen Natur und deiner Seele

Mit Gott als voraussehenden Schiedsrichter.

Schicksal ist eine Bilanz, gezogen im Buch der Bestimmung.

Der Mensch kann sein Schicksal annehmen, er kann es ablehnen.

Und wenn der Eine den ungesehenen Erlass doch aufrechterhält,

Schreibt er deine Ablehnung auf deiner Kreditseite gut:

Denn Verhängnis ist kein Schluss, kein mystisch Siegel.

Erstanden aus dem tragischen Absturz des Lebens,

Erstanden aus des Körpers Qual und Tod,

Steigt, mächtiger durch Niederlage, der Geist empor;

Seine gottgleichen Schwingen wachsen mit jedem Fall.

Seine prächtigen Misserfolge summieren sich zum Sieg.

O Mensch, was dir begegnet auf deinem Wege,

Trifft es deinen Körper und deine Seele auch mit Freude und Leid,

Ist nicht dein Schicksal, – es streift dich kurz und geht vorbei;

Sogar Tod kann nicht den Gang deines Geistes unterbrechen:

Dein Ziel, dein Weg, den du wählst, sind dein Schicksal.

Auf den Altar lege dein Denken, dein Herz, dein Tun,

Dein Schicksal ist ein langes Opfer an die Götter

Bis sie dir dein geheimes Selbst aufgetan

Und dich geeint haben mit dem innewohnenden Gott.

O Seele, Eindringling in die Unwissenheit der Natur,

Gewappnete Wanderin zu den ungesehenen Himmelshöhen,

Das Schicksal deines Geistes ist ein Kampf und endloser Marsch

Gegen unsichtbare Gegenmächte,

Ein Übergang von Materie in zeitloses Selbst.

Als Abenteurer durch blinde unvorhersehende Zeit,

Ein getriebener Marsch durch eine lange Reihe von Leben,

Drängt er seine Vorhut durch die Jahrhunderte.

Durch den Staub und den Morast der irdischen Ebene,

An vielen bewachten Grenzen und gefahrvollen Fronten,

In schrecklichen Angriffen, in Rückzügen, wund und schwer,

Haltend die umringte und zertrümmerte Festung des Ideals,

Oder kämpfend auf einsamen Posten mit Übermacht,

Oder harrend in der Nacht um Biwakfeuer

Der säumigen Trompeten des Morgengrauens,

Im Hunger und im Überfluss und im Schmerz,

Durch Gefahr und durch Triumph und durch Niederlage,

Durch Lebens Wiesenwege und Wüstensand,

Hinan die Heide, entlang am sonnenhellen Grat,

In dichten Kolonnen, deren Nachhut versprengt,

Angeführt von den Signalfeuern der nomadischen Vortrupps,

Marschiert das Heer des wegverlorenen Gottes.

Spät wird dann die unsägliche Freude empfunden,

An sein vergessenes Selbst erinnert er sich dann;

Wiederentdeckt hat er die Himmel, aus denen er einst fiel.

Schließlich nimmt seine unbezwingbare Front

Die letzten Pässe der Unwissenheit ein:

Überschreitend die letzten bekannten Grenzen der Natur,

Erkundend das gewaltige Unbekannte,

Jenseits der Grenzsteine sichtbarer Dinge,

Klimmt diese empor durch eine wundersame höhere Luft

Bis er, besteigend den stummen Gipfel der Welt,

Oben auf den prachtvollen Kuppeln Gottes steht.

Vergeblich beklagst du, dass Satyavan sterben muss;

Sein Tod ist der Beginn eines größeren Lebens,

Der Tod ist des Geistes Gelegenheit.

Eine weite Absicht hat zwei Seelen nahe gebracht

Und zu einem großen Ziel verschwören sich Liebe und Tod.

Denn aus Gefahr und Schmerz wird Himmelsglück kommen,

Der Zeit unerwartet Ereignis, Gottes geheimer Plan.

Diese Welt ward nicht blindlings aufgebaut mit Steinen des Zufalls ,

Der Architekt des Schicksals ist kein blinder Gott;

Eine bewusste Macht hat den Lebensplan entworfen,

In jedem Bogen, jeder Linie liegt ein Sinn.

Sie ist eine Architektur, erhaben und grandios,

Mit vielen Baumeistern, namhaft und namenlos,

Wo Hände blindlings dem Ungesehenen gehorchen,

Und einer ihrer Meisterbildner ist sie.

Königin, lass' den geheimen Willen geschehen;

Der Zeit Unglücke sind Schritte in seinem weiten Entwurf.

Bring‘ nicht deine flüchtigen und hilflosen Menschentränen

In die unergründlichen Augenblicke eines Herzens,

Das weiß seinen Willen mit Gottes Willen eins:

Umarmen kann es sein feindliches Geschick;

Allein sitzt es mit Gram und sieht dem Tod ins Auge,

Trotzend einem widrigen Los, gewappnet und allein.

In dieser unermesslichen Welt stehend für sich

In ihres schweigenden Geistes Willensmacht,

In der Inbrunst ihrer opferbereiten Seele,

Stellt sich ihre einsame Stärke dem Universum entgegen,

Schicksal trotzend, weder Mensch noch Gott um Hilfe bittend:

Zuweilen ist ein Leben mit dem Geschick der Erde betraut,

Es ruft nicht nach Beistand von den zeitgebundenen Mächten.

Sie allein ist ihrer mächtigen Aufgabe gewachsen.

Misch‘ nicht in einen Streit dich ein, der zu groß ist für dich,

Einen Kampf, zu tief als dass sterblich Denken ihn ergründen könnte,

Seine Frage an die starren Grenzen dieser Natur

Wenn bar aller Hüllen die Seele vor dem Unendlichen steht,

Sein zu weites Thema eines einsamen sterblichen Willens,

Der da einsam schreitet durch das Schweigen der Ewigkeit.

Wie unbegleitet ein Stern am Himmel sich bewegt,

Unbeeindruckt von den Unermesslichkeiten des Raumes,

Bereisend Unendlichkeit im eigenen Lichte,

So sind die Großen am stärksten, wenn sie allein dastehen.

Ihre Kraft ist eine von Gott gegebene Wesensmacht,

Ihr Führer ein Strahl von des Selbstes Lichteinsamkeit;

Die Seele, die allein mit sich selbst leben kann, begegnet Gott;

Ihr abgeschieden Universum ist der beiden Rendezvous.

Ein Tag mag kommen, an dem sie ohne Hilfe dastehen muss

An einem gefahrvollen Rande vom Unheil der Welt und ihrem,

Tragend auf ihrer einsamen Brust die Zukunft der Welt,

Tragend in allein gelassenem Herzen die Hoffnung der Menschen,

Um zu siegen oder zu scheitern an einem letzten verzweifelten Rande,

Allein mit Tod und nahe am Saum der Auslöschung.

In dieser letzten schauerlichen Szene muss ihre einzigartige Größe

Alleine eine gefahrvolle Brücke in der Zeit überqueren

Und einen Gipfel der Weltbestimmung erreichen,

Wo für den Menschen alles gewonnen oder verloren ist.

Allein und vergessen in jener ungeheuren Stille

Einer Stunde, in der sich das Schicksal der Welt entscheidet,

Im Aufstieg ihrer Seele jenseits sterblicher Zeit,

Wenn einsam mit Tod oder einsam mit Gott sie steht

Abseits auf einem stillen ausweglosen Grat,

Allein mit ihrem Selbst und Tod und Geschick,

Wie auf einer Schwelle zwischen Zeit und Zeitlosigkeit,

Wo Dasein enden oder Leben seine Grundstruktur erneuern muss,

Muss allein sie siegen oder einsam fallen.

Kein menschlicher Beistand kann sie in dieser Stunde erreichen,

Kein gewappneter Gott steht strahlend ihr zur Seite.

Schrei nicht zum Himmel, denn retten kann nur einzig sie.

Mit dieser Sendung kam die stille Kraft herab;

In ihr nahm der bewusste Wille menschliche Gestalt an:

Nur sie kann retten sich und retten die Welt.

O Königin, bleib‘ diesem grimmigen Schauplatz fern,

Tritt nicht zwischen sie und die Stunde ihres Geschicks .

Ihre Stunde wird kommen, wo niemand eingreifen kann:

Such‘ nicht, sie von ihrem Himmelsauftrag abzuhalten,

Noch trachte, vor ihrem eigenen hohen Willen zu retten sie.

Du hast keinen Platz in diesem gewaltigen Kampf;

Deine Liebe und Sehnsucht sind keine Schiedsrichter dort;

Überlass‘ sie und das Los der Welt allein dem Schutze Gottes.

Auch wenn er sie ihrer alleinigen Stärke zu überlassen scheint,

Auch wenn alles wankt und fällt und ein Ende sieht

Und das Herz verzagt und nur Tod und Nacht es gibt,

Kann ihre gottgegebene Kraft doch das Verhängnis bekämpfen

Sogar am Rand, wo nah scheint nur der Tod

Und keine Menschenkraft hindern oder helfen kann.

Denk‘ nicht daran, beim verborgenen Willen einzuschreiten,

Dräng‘ nicht zwischen ihren Geist und seine Kraft

Sondern überlass‘ sie dem Schicksal und ihrem mächtigen Selbst.“

Er sprach und verstummte und verließ den irdischen Platz.

Fort von Streit und Leid auf unserem Globus,

Wandte er sich seiner fernen seligen Heimat zu.

Ein leuchtender Pfeil, der geradewegs zum Himmel zeigt,

So bestürmte der strahlende Körper des ätherischen Sehers

Die purpurne Herrlichkeit des Mittags

Und verschwand wie ein schwindender Stern,

Eintauchend in das Licht des Ungesehenen.

Doch ward im Unendlichen noch ein Ruf zu hören,

Und der lauschenden Seele auf sterblicher Erde

Sang eine hohe und ferne unvergängliche Stimme

Immer noch die Hymne der ewigen Liebe.

Ende des zweiten Cantos
Ende des sechsten Buches