Siebtes Buch

Das Buch vom Yoga

Siebter Canto

Die Entdeckung des kosmischen Geistes und des kosmischen Bewusstseins

In der kleinen Einsiedelei im Herzen des Waldes,

Im Sonnenlicht und im Mondlicht und im Dunkel

Ging der menschliche Alltag arbeitsam weiter

Wie zuvor mit seinen kleinen unveränderlichen Werken

Und seinem kargen äußeren Rahmen der Routine

Und der glücklichen Ruhe des asketischen Friedens.

Das alte Schöne lächelte aus dieser irdischen Szenerie;

Auch sie war den Menschen ihr altes gütiges Selbst.

Die Uralte Mutter zog ihr Kind an ihre Brust

Und drückte sie in ihren umfangenden Armen ganz nah an sich,

Als hielt die immer gleiche Erde so für immer

Den lebendigen Geist und Körper in ihrem Griff,

Als gäbe es weder Tod noch Ende noch Wandel.

Einzig daran gewöhnt, äußere Zeichen zu lesen,

Sah keiner etwas Neues an ihr, keiner ahnte ihren Zustand;

Sie sahen eine Person, wo nur Gottes Weite war,

Ein stilles Sein oder ein mächtiges Nichts.

Für alle war sie die gleiche vollkommene Savitri:

Eine Größe und eine Lieblichkeit und ein Licht

Strömten aus ihr auf ihre kleine Welt.

Das Leben zeigte allen das gleiche vertraute Gesicht,

Ihr Tun nahm den alten unveränderten Lauf,

Sie sprach die Worte, die sie stets zu sprechen pflegte,

Und tat die Dinge, die sie schon immer getan hatte.

Ihre Augen blickten auf das unveränderliche Antlitz der Erde,

Um ihrer Seele Stummheit ging alles weiter wie bisher;

Ein leeres Bewusstsein sah von innen zu,

Entleert von allem außer der bloßen Wirklichkeit.

Es gab keinen Willen hinter Wort und Tat,

Kein Gedanke formte sich in ihrem Gehirn, um die Rede zu leiten:

Ein unpersönlich Leeres wandelte und sprach in ihr,

Etwas vielleicht Ungefühltes, Ungesehenes, Unbekanntes

Behütete den Körper für sein künftig Werk,

Oder Natur bewegte sich in ihrem alten Strom der Kraft.

Vielleicht trug sie, bewusst gemacht in ihrer Brust,

Das wunderreiche Nihil, Ursprung unserer Seelen

Und Quelle und Summe des weiten Weltgeschehens,

Mutterleib und Grab des Denkens, eine Ziffer Gottes,

Ein Nullkreis der Totalität des Seins.

Es gebrauchte ihre Worte und wirkte in ihren Taten,

Es war Schönheit in ihren Gliedern, Leben in ihrem Atem;

Das ursprüngliche Mysterium trug ihr menschliches Antlitz.

So war gesondertem Selbst sie innen verloren;

Ihr sterbliches Ego ging in Gottes Nacht zugrunde.

Übrig blieb nur ein Körper, des Egos Schale,

Die in der Strömung und Gischt des Weltmeeres trieb,

Ein Meer des Traumes, geschaut von einem reglosen Sinn

In einer Gestalt von unwirklicher Wirklichkeit.

Eine unpersönliche Voraussicht konnte schon sehen, –

In dem denklosen Wissen des Geistes

Schien es schon jetzt fast geschehen, unvermeidlich, –

Das Einzelwesen sterben, den Kosmos vergehen;

Wenn diese dahin, würde die Transzendenz zum Mythos,

Zum Heiligen Geist ohne Vater und Sohn,

Oder, Substrat von dem was einst gewesen war,

Sein, das nie eine Welt gebären wollte,

Zurückversetzt in seine ursprüngliche Einsamkeit,

Teilnahmslos, allein, schweigend, ungreifbar.

Doch war nicht alles erloschen in diesem tiefen Schwund;

Das Wesen wandelte nicht ins Nichts.

Da war ein hohes überragend Geheimnisvolles,

Und wenn sie mit Satyavan so allein dasaß,

Ihr reglos mentaler Geist bei seinem, der forschte und strebte,

Wandte sie sich in der Stille tiefer und inniger Nacht

Dem Antlitz einer verschleiert stimmlosen Wahrheit zu,

Die in den stummen Nischen des Herzens sich verbirgt

Oder jenseits des letzten Gipfels wartet, den Denken erstieg, –

Selbst nicht zu sehen, sieht sie die ringende Welt

Und treibt unsere Suche an, sorgt sich aber nicht ums Gefundenwerden, –

Aus jener fernen Weite kam eine Antwort.

Etwas, unbekannt, unerreicht, unergründlich,

Sandte Botschaften seines körperlosen Lichtes hernieder,

Warf leuchtende Blitze aus einem Denken, ungleich dem unsrigen,

Durch die unbewegte Stille ihres Mentals:

In seiner Macht verantwortungsloser Souveränität

Griff es zur Sprache, um jenem Flammen Form zu verleihen,

Ließ das Herz der Weisheit in einem Wort pochen

Und sprach durch sterbliche Lippen Unsterbliches.

Oder, den Weisen der Wälder lauschend,

Es brachen in Frage und Antwort aus ihr

Hoch seltsame Offenbarungen hervor, unmöglich für Menschen,

Etwas oder jemand, geheim und fern,

Machte sich ihren Körper für seinen mystischen Gebrauch zu eigen,

Ihr Mund ward ergriffen, um unsagbare Wahrheiten zu kanalisieren,

Wissen, undenkbar, fand eine Äußerung.

Überrascht von einer neuen Erleuchtung,

Getroffen von einem Lichtstrahl des Absoluten,

Staunten sie über sie, denn sie schien zu wissen,

Was sie nur manchmal aus der Ferne erblickten.

Diese Gedanken wurden nicht in ihrem lauschenden Gehirn gebildet,

Wie eine unbesaitete Harfe war ihr leeres Herz;

Der Körper, teilnahmslos, suchte eigene Stimme nicht,

Sondern ließ die leuchtende Größe durch sich ziehen.

Eine zweifache Macht an den okkulten Polen des Seins

Wirkte noch, namenlos und unsichtbar:

Ihre göttliche Leerheit war deren Instrument.

Die nichtbewusste Natur befasste sich mit der Welt, die sie schuf,

Und glitt, noch des Körpers Instrumente verwendend,

Durch die bewusste Leere, die sie geworden war;

Das überbewusste Mysterium sandte durch diese Leere

Sein Wort, um am Denken der Menschen zu rühren.

Solch große unpersönliche Rede war bis jetzt noch selten.

Doch nun ließ der bewegungslose weite spirituelle Raum,

Worin ihr mentaler Geist überlebte, ruhig und bloß,

Einen Reisenden aus den kosmischen Breiten zu:

Ein Gedanke kam hindurch, drapiert wie eine äußere Stimme.

Er wandte sich nicht an den Zeugen des Mentals,

Er sprach nicht zum still empfangenden Herzen;

Er kam unmittelbar zum Sitz der reinen Wahrnehmung,

Nun einziges Zentrum des Bewusstseins,

Falls ein Zentrum sein kann, wo alles Raum nur schien;

Nicht mehr eingeschlossen von des Körpers Mauern und Tore

Ging weit ihr Wesen, ein Kreis ohne Umfang,

Schon jetzt über alle kosmischen Grenzen hinaus

Und dehnte sich mehr und mehr in die Unendlichkeit aus.

Dies Wesen war seine eigene grenzenlose Welt,

Eine Welt ohne Form oder Merkmal oder Umstand;

Es hatte keinen Boden, keine Wand, kein Dach des Denkens,

Doch sah es sich selbst und blickte auf alles rings umher

In einem Schweigen, statisch und unermesslich.

Dort war keine Person, kein zentriertes Mental,

Kein Sitz des Gefühls, auf den Ereignisse schlagen

Oder Objekte wirken und den Druck der Gegenwirkung bilden.

In dieser inneren Welt gab es keine Regung,

Alles war eine stille und gleichförmige Unendlichkeit.

In ihr harrte der Ungesehene, der Ungekannte seiner Stunde.

Doch nun saß sie beim schlafenden Satyavan,

Im Innern wach, und die ungeheure Nacht

Umgab sie mit der Weite des Unkennbaren.

Aus ihrem eigenen Herzen begann eine Stimme zu sprechen,

Die nicht die ihre war, doch Denken und Sinn beherrschte.

Als diese sprach, änderte sich alles in ihrem Inneren und Äußeren;

Alles war, alles lebte; sie fühlte alles Seiende als eines;

Die Welt der Unwirklichkeit hörte auf zu sein:

Es gab kein vom Mental erschaffenes Universum mehr,

Bloßgestellt als eine Konstruktion oder als ein Zeichen;

Ein Geist, ein Wesen sah geschaffene Dinge

Und goss sich in ungezählte Formen

Und war, was er sah und schuf; alles wurde jetzt

Eine augenscheinliche Gewissheit der einen gewaltigen Wahrheit,

Einer Wahrheit, in welcher Verneinung keinen Platz mehr hatte,

Ein Sein und ein lebendiges Bewusstsein,

Eine klare und absolute Wirklichkeit.

Das Unwirkliche fand dort nirgends Platz,

Der Sinn für Unwirklichkeit war ausgemerzt:

Dort war alles bewusst, gemacht aus dem Unendlichen,

Alles hatte eine Substanz von Ewigkeit.

Und doch war dies dasselbe Unentzifferbare;

Kosmos schien es abzulegen wie einen Traum,

Der auf immer dahinschwand in ein ursprüngliches Leer.

Doch war dies kein vager allgegenwärtiger Punkt mehr

Oder eine Ziffer der Weite in unwirklichem Nichts.

Es war dasselbe, doch nun scheinbar nicht mehr fern

Dem lebendigen Griff ihrer wiedererlangten Seele.

Es war ihr Selbst, es war das Selbst von allen,

Es war die Wirklichkeit aller existierenden Dinge,

Es war das Bewusstsein von allem, das lebte

Und fühlte und sah; es war Zeitlosigkeit und Zeit,

Es war die Seligkeit von Formlosigkeit und Form.

Es war alle Liebe und die Arme des einen Geliebten,

Es war Sehen und Denken in einem allsehenden Mental,

Es war Freude des Seins auf den Gipfeln Gottes.

Sie ging über die Zeit hinaus in die Ewigkeit,

Entschlüpfte dem Raum und wurde die Unendlichkeit;

Ihr Wesen stieg zu unerreichbaren Höhen auf

Und fand kein Ende seiner Reise in dem Selbst.

Es tauchte in die unergründlichen Tiefen

Und fand kein Ende des stillen Mysteriums,

Das die ganze Welt in einer einsamen Brust hielt,

Dennoch die ganze Vielfalt der Schöpfung in sich aufnahm.

Sie war alle Weite und ein unermesslicher Punkt,

Sie war eine Höhe jenseits von Höhen, eine Tiefe jenseits von Tiefen,

Sie lebte im Immerwährenden und war alles,

Was den Tod beherbergt und die rollenden Stunden trägt.

Alle Gegensätze waren wahr in einem einzigen gewaltigen Geist,

Der Maß, Wandel und Umstand überstieg.

Ein Einzelwesen, eins mit kosmischem Selbst

In dem Herzen des Transzendenten Wunders

Und des Geheimnisses der Weltpersönlichkeit,

War der Schöpfer und der Herr von allem.

Mental war ein einziger unzählbarer Blick

Auf sich selbst und auf dies alles, wozu es wurde.

Leben war sein Drama und die Weite eine Bühne,

Das Universum war sein Körper, Gott dessen Seele.

Alles war eine einzige unermessliche Wirklichkeit,

Alles deren unzähligen Phänomene.

Ihr Geist sah die Welt als lebendigen Gott;

Er sah den Einen und wusste, alles war Er.

Sie wusste ihn als den Selbst-Raum des Absoluten,

Eins mit ihrem Selbst und Grund aller Dinge hier,

In denen die Welt wandernd nach der Wahrheit sucht,

Die sich hinter ihrem Antlitz der Unwissenheit verbirgt:

Sie folgte ihm auf dem Marsch der endlosen Zeit.

Alle Geschehnisse der Natur waren Ereignisse in ihr,

Die Herzschläge des Kosmos waren ihre eigenen,

Alle Wesen dachten und fühlten und bewegten sich in ihr;

Sie bewohnte die Weite des Universums,

Seine Fernen waren die Grenzen ihrer Natur,

Seine Nähen die Vertrautheiten ihres eigenen Lebens.

Ihr Mental wurde vertraut mit seinem Mental,

Sein Körper war der größere Rahmen ihres Körpers,

Darin sie lebte und sich wusste in ihm

Eins, vielgestaltig in seiner Vielgestaltigkeit.

Sie war ein einziges Wesen und doch alle Dinge;

Die Welt war der weite Umfang ihres Geistes,

Die Gedanken anderer waren ihre Vertrauten,

Deren Gefühle nahe an ihrem universalen Herzen,

Deren Körper ihre vielen Körper, nah verwandt mit ihr;

Sie war nicht mehr sie selbst sondern die ganze Welt.

Aus den Unendlichkeiten kam alles zu ihr,

In die Unendlichkeiten spürte sie sich hinein,

Unendlichkeit war ihr natürliches Heim.

Sie weilte nirgends, überall war ihr Geist,

Die fernen Sternbilder kreisten um sie;

Erde sah ihre Geburt, alle Welten waren ihre Kolonien,

Die größeren Welten von Leben und Mental waren ihre;

Die ganze Natur gab sie in ihren Linien wieder,

Ihre Bewegungen waren große Abbilder der ihrigen.

Sie war das eine Selbst all dieser Selbste,

Sie war in ihnen und alle waren sie in ihr.

Eine mächtige Wesenseinheit war dies zuerst,

Worin ihre eigene Identität verloren ging:

Was sie selbst zu sein schien, war ein Bild des Ganzen.

Sie war ein unterbewusstes Leben von Baum und Blume,

Das erste Aufbrechen der honigsüßen Knospen des Frühlings;

Sie glühte in der Inbrunst und Pracht der Rose,

Sie war das rote Herz der Passionsblume,

Das Traumweiß des Lotus in seinem Teich.

Aus unterbewusstem Leben stieg sie zum Mental,

War Denken und Leidenschaft des Herzens der Welt,

Sie war die Gottheit, verborgen im Herzen des Menschen,

Sie war das Aufsteigen seiner Seele hin zu Gott.

Der Kosmos erblühte in ihr, sie war sein Beet.

Sie war Zeit und die Träume Gottes in der Zeit;

Sie war Raum und die Weite seiner Tage.

Von da stieg über Zeit und Raum sie hinaus;

Das Überbewusste war ihre heimische Luft,

Unendlichkeit war ihr natürlicher Bewegungsraum;

Ewigkeit schaute von ihr aus auf die Zeit.

Ende des siebten Cantos
Ende des siebten Buches

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